Tibors Kopfkino #03

MONTAG, 1. OKTOBER 2018

#Film, #Kino, #Kolumne, #Tibor Baumann

Die letzten Wochen hatte ich mich nach und nach zurückgezogen. Der Oktober: sich für das herbstlich und winterliche Drehbuchschreiben vorbereiten. Wie eine golden leuchtende Einstellung von Weizenfeldern, in dem der Legionär, der zum Sklaven wurde, in seinen Träumen durchstreift.

DIE REGIE MUSS TUN, WAS DIE REGIE TUN MUSS!
ODER: WÄHLEN SIE WEISSE, ALLES ANDERE IS’ AUS.


Um nicht ganz zu verschwinden, streife ich ab und an mit Bela um die Häuser. Von Kino zu BARFLY und zurück in die absurde Welt des Schreibens, wie Mr. BARTON FINK.
Wie ein paar Figuren aus SMOKE steuern wir im Morgengrauen zur Currybude, die mitten auf der Kreuzung auf einer Verkehrsinsel die Zeit überdauert. Unser schlurfender, aber doch recht cooler Gang quer über die morgendlich glänzende Kreuzung bricht plötzlich ab: ihr Blick trifft mich wie die außerirdische Schönheit Cate Blanchets, wie sie sich da im fahlen Dämmern des herannahenden Tages umdreht. Als ob es auch die Frau, die VOM HIMMEL FIEL sein könnte. Über ihr leuchtet das Schild der Bude wie das des BATES MOTEL – verheißungsvoll. Aber auch tödlich. Sie sieht mich an, über Pommes, Currywurst und Bier hinweg. Die Zeit steht still.

„Ich geh schon ma‘ ‘ne Wurst holen, das dauert sicher“, sagt Bela mit Edgar Wright-Humor. Er schlappt an den Partykids, die scheinbar direkt aus DER NACHTMAHR herausgefallen sind, und einigen bullig bedrohlichen Typen mit KRIEGERIN-Attitüde vorbei. Der dicke Karl nickte Bela zu und schmeißt die Pommes professionell wie Ingo in DITTSCHE in das blubbernde Fett.
Es hätte alles so einfach sein können. Bela hätte gesagt: „Zwei Pommes Schranke und zwei Fußpilz.“ Dann wären wir gegangen.

Aber sie stand eben vor uns. Larissa habe ich das erste Mal durch verregnet romantischen Zufall gesehen – und das romantische Missverständnis, das hat uns dann wieder auseinander gebracht. (Rückblende: ZWUSCH! ZANG! TIBORS KOPFKINO Issue #1: Wir zwei, wie SCOTT PILGRIMM vs. den f’+%ing Rest der Welt. Eine tolle Zeit. Ein Fahrradknäul, Regenwasser, tief gehende Blicke und Autos die hupen, Kino – und ihr Blick!)

Alle Augen sind auf uns gerichtet, Bela bisschen schwankend und der dicke Karl in seiner Bude, die beiden gestrandeten Techno-Hippies mit ihren geweiteten Pupillen wie in TRAINSPOTTING und die geistig verwirrten Glatzköppe mit dem Edward-Norton-HISTORY-X-Bart.
Larissa lächelt mich an.
„Du hast die Wahl.“, sagt sie, zwinkert mir zu, nur kurz, nur ein verstecktes Signal – VERGISS MEIN NICHT.
„Oha!“, entfährt es dem dicken Karl.
„Psst“, macht Bela.
„Ich würde beides nehmen“, lächle ich Larissa betrunken an und greife links und rechts, nach Pommes und Bier, um näher zu ihr zu kommen.
„Du bist gieriger als Walt Disney“, sagt sie und entzieht mir Wurst und Flasche.
„Aber nicht so erfolgreich“, gibt Bela zu bedenken.
Larissa will sich umwenden, gehen, verschwinden.
„Warte!“
Sie bleibt stehen und gibt mir eine Chance und ich zitiere:
„Dumm ist der, der Dummes tut.“
„Echt jetzt?“, unterbricht mich Ella. Um uns herum lärmt die Kneipe.
„Das ist ‘ne Allegorie, du weißt schon, sich entscheiden müssen, links, rechts, Liebe oder Triebe“, erwidere ich auf meine Notizen kritzelnd.
„Ich würde eher sagen, du bist zu lange alleine über deinem Drehbuch gesessen.“
Ella sieht plötzlich über meine Schulter zu der sich öffnenden Tür der schummrigen Bar, die sie mit stilvoller Leichtigkeit beherrscht.
„Das ist die Realität“, sagt Ella grinsend. „Jetzt kannst du dich wirklich entscheiden: fliehen oder bleiben.“
Da steht sie. Die Geräusche treten zurück. Mein Blick wie in Zeitlupe. Ein verschütteter Schluck Bier hängt in der Luft und perlt langsam zu Boden: da steht sie und ich muss mich entscheiden!


VON A WIE ALLTÄGLICHE ENTSCHEIDUNG BIS Z WIE ZERMÜRBENDE ZEITGESCHICHTE

– da ist gute Wahl teuer? Ah, was – obagg‘n musd des!
Das dachte sich auch der Herr von Donnersmark und kehrt wieder zu zeitgeschichtlichem Drama zurück – der Adel versucht mit Tom Schilling und Paula Beer im Gepäck in WERK OHNE AUTOR (KS: 03.10.)
den Zusammenhang von Nazi-Regime bis geteilte BRD/DDR Realität zu erfassen.
Ein anderes Großprojekt sind dann die Fragen, die einen umzutreiben vermögen. Hermann Vaske hat 30 (ja, Mann: dreißig!) Jahre lang gefragt WHY ARE WE CREATIVE? (KS: 04.10.). Und alle haben ihm geantwortet. Da tummeln sich Bowie und Manson, Bargeld und Mel Gibson, Bankiers und Marodeure und versuchen, das zu beantworten.
Umtriebig sind auch diejenigen, die aus den eher verruchten Ecken des Filmes sich nun ihr warmes Plätzchen suchen: Drew Goddard beschert uns klassischen Stranger-Thriller mit seinem schrägen Anstrich im BAD TIMES AT THE EL ROYALE (KS: 11.10.) Mit der Frage, was die Spannung auf die Spitze treibt, spielt auch THE GUILTY (R: Gustav Möller, KS: 18.10.). In dem dänischen Thriller wird der Notrufoperator zum Ermittler einer Entführung. Das sieht nicht nur spannend aus, sondern auch nach ungewöhnlicher Wahl der Waffe.
Apropos Waffe: Was lange währt, ist immer noch nicht tot – was in acht Filmen und zwei Reboot-Filmen nicht enden wollte, kehrt zurück: Mike Myers schlitzt wieder Kürbisse und Jamie Lee Curtis kommt back to the bloody roots, da sie wohl woanders niemanden gefunden hat, der es wert gewesen wäre, gejagt zu werden: HALLOWEEN (David Gordon Green, KS: 25.10.). Im Horrorfilm zeigt sich ja auch immer, wovor unsere Gesellschaft so ihre Angst pflegt – und deswegen mal gleich Sachen verbietet. Aber Entscheidungen sind ja nicht unüberdenkbar! Und so beschert uns das aufgehobene Vorführungsverbot des Bosch-artigen Höllenpfuhls aus Clive Barkers Feder nun den HELLRAISER III (R: A. Hickox, KS: 31.10.) – nicht Remake oder Sequell, sondern als revidierende Erstaufführung mit Jahrzentverschiebung.
Ein bisschen leichtfüßiger, aber nicht leichter, haben es die von Markus Goller inszenierten Brüder in 25 KM/H (KS:31.10), in dem wir Lars Eidinger und Bjarne Mädel im Aufarbeitungsmodus bei Rück- und Vorschau der Lebensentscheidungen, aber eben titelgebend entschleunigt, zusehen dürfen.
Große Entscheidungen bringen ja dann bekanntlich auch hin und wieder Größen hervor, deren Werke wir dann immer weiter verarbeiten. Und so freuen wir uns singend auf BOHEMIAN RHAPSODY, in dem Rami Malek den Hoodie aus MR. ROBOT (R./C: Div., Sam Ismael, Anonymous Content, 2015 – letzte Staffel upcoming!) gegen die Singstimme von Freddy Mercury tauscht.
Und so lässt sich doch immer wieder auch die Entscheidung treffen, Klassiker zu sehen. Wie die nun schön restaurierten Zeugnisse filmischer Unglaublichkeit, die am 26.10. vom Atlas Verleih auf DVD erscheinen werden: In DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE inszeniert Fritz Lang eine Verbrechergeschichte, die als Sinnbild für die Ideologie der Nazis ohne Weiteres zu verstehen war – und daher 1933 auch prompt durch das Regime verboten wurde. Ein perfekter Zeitpunkt, sich den (noch einmal) anzusehen. MENSCHEN AM SONNTAG
(R: Robert Siodmak, 1930) zeigt die alltäglichen Probleme, das Treiben am Sonntag und das wieder in die Maschinerie Eintreten am Montag im Berlin der 20er. Der Film der „Neue Sachlichkeit“ verquickt dabei filmische und dokumentarische Szenen zu seinen Bildern zwischen den Schrifttafeln. Das ist gut! Und bildet! Wow!
Und mit all der Filmbildung, bevor Ihr dann die richtig großen Entscheidungen trefft, könnt Ihr ins Cinecittà gehen und bei Kev Murphy mit Euren Freundinnen und Freunden im Filmquiz (25.10.) ohne Pub, aber im cinephil korrekter Umgebung zeigen, was die Fakten vom Fake auf Zelluloid so unterscheidet.
Und ich habe die erste Übung für Euch: Wie heißt der Film, der in der Story oben mit „Dumm ist der, der Dummes tut“ zitiert wird?

VERLOSUNG

Postet Eure Antwort auf Facebook oder Instagram mit einem Bild aus dem Film mit dem Hahstag #tiborskopfkino. Unter den eifrigen Posterinnen und Postern verlost die Redaktion keine Poster
- sondern 3x2 DVDs: Die restaurierten Fassungen von DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE und MENSCHEN AM SONNTAG. Yeah!

Ansonsten bleibt zu sagen:
Vor dem Kino an die Wahlurne und die deutschen ROMPER STOMPER verhindern, sonst gibts Frankenschorle aus dem Markus Söder See! Und auch wenn das vielleicht ein bisschen Fremdwilderei ist: Als wunderbar neupunkigen Sound-track könnt Ihr Euch dann das Debütalbum von AKNE KID JOE reinziehen, mit dem folgerichtigen Titel „Karate Kid Joe“, der es zum berechtigten Teil in meinem Kopfkino macht. Eine Wahnsinnsscheibe aus dem wunderbaren South-Nbg! Kultur ist eben, was wir draus machen – auch, wenn die Kulturhauptstadt-Büros schließen … Also, dran denken: Wie im Kino, immer schön die Augen auf haben und genau fragen, ob das gut ist, was sich da abspielt.

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TIBOR BAUMANN
Der Nürnberger Regisseur und Autor ist in Imbissbudenland gestrandet - und schreibt für uns, worüber er am liebsten nachdenkt: entscheidende Bilder und bildende Entscheidungen. Alles in seinem Kopf. Und mit einem Herz, wie eine Filmrolle. Wer wählen muss, soll erst nach genauer Wahl Platz im (ja im!) besten Ort der Welt nehmen - Kinosessel!
 




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