Theater Wegweiser im September
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Zum Start der BühnenSaison treten neue Teams mit großen Plänen an – aber auch LangzeitJubiläum wird gefeiert: Wegweiser zur ersten Premieren-Serie 2018/19 in Nürnberg, Erlangen und Fürth.
WINDMÜHLEN AUS GOSTENHOF ÜBER DEM GOLDENEN HAUS VON NEW YORK
Jetzt geht also das ganze Theater wieder los! Ja, und dies könnte sogar zu einer irgendwie guten Nachricht werden: Früher als sonst, mehr als sonst, zwangsläufig noch riskanter als gewohnt. Mal sehen, was dabei rauskommt. Der zuletzt in den trendsettenden Spielplänen deutscher Theatermacher kaum noch wahrgenommene, vor etwa 50 Jahren ungekrönt als grummelnder Absurden-König gefeierte Eugéne Ionesco aus Rumänien & Frankreich (Comeback-Projekt im Schauspielhaus Nürnberg), der nach seinem Tod 1953 als irritierende Respektsperson am äußeren Rande der modernen Opernwelt behandelte russische Komponist Sergej Prokofjew (Kolossal-Rarität im Opernhaus) und der eher aus der Griffbereitschaft am Bücherregal als von der Bühne herab provozierende, nicht nur wegen Satanischer Verse und ihre bärtigen Verfolger langfristig umstrittene Wahl-Amerikaner Salman Rushdie (denkbar aktuellste Bestseller-Dramatisierung im Markgrafentheater Erlangen) sind die platzierten Frontmänner der neuen Saison in der Region. Dazu macht der gute alte Cervantes, auf speziell ausgelegter Spur durch Straßen und Hinterhöfe von Gostenhof wandernd, imaginären Dramen-Wind in subtiler Dreiecksbeziehung: Begleitetes Träumen. Leitungswechsel samt radikalem Ensemble-Umbau am Staatstheater lässt die Spielzeit dort spektakulärer erscheinen als in den letzten Jahren, und das nimmt bereits im September volle Fahrt auf – schließlich muss schnellstmöglich das Revier markiert, ein nachwachsendes Repertoire aufgebaut werden. Sieben Premieren zwischen 27. September und 7. Oktober allein für die erste, schäumende Produktionswelle am Richard-Wagner-Platz. Was Jubeldaten betrifft: Das Gostner Hoftheater wird 40, das Erlanger Markgrafentheater 300.
STAATSTHEATER NÜRNBERG
Regisseur Jens Daniel Herzog (55, bisher Dortmund, manchmal auch Salzburg) ist der neue Staatsintendant und Operndirektor, den jungen Kollegen Jan Philipp Goger (37, Regie-Gast in Düsseldorf, Hamburg, Bayreuth, Zürich) hat er sich als Schauspieldirektor dazu geholt, die noch jüngere Joana Mallwitz (32, bisher Orchesterchefin in Erfurt) tritt als erste Generalmusikdirektorin Nürnbergs an. Höhepunkte ihrer gemeinsam unter dem viel bespöttelten Selbstbezichtigungs-Signet „Haus der Künstlerinnen und Künstler“ entworfenen Saison Nr. 1, in der die Pult-Chefin neben vielen Konzerten allerdings nur zwei von zehn Opernhaus-Premieren übernimmt, könnten nach Prokofjews weithin unbekannter, monströser Tolstoi-Vertonung „Krieg und Frieden“ noch Wagners „Lohengrin“, Händels „Xerxes“ und womöglich sogar Paul Abrahams Operetten-Revue „Ball im Savoy“ mit den Geschwistern Pfister werden. Im Schauspielhaus dürfen „Lazarus“ aus David Bowies Nachlass, die Texte des angeworbenen Hausautors Philipp Löhle, der blutige „Macbeth“ in Regie von „Schaubühnen“-Dauergast Philipp Preuss und die Arbeiten der in München, Berlin und Hamburg gefragten Anne Lenk (Tschechows „Die Möwe“ sowie die Dramatisierung von Roman Ehrlichs „Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens“) besondere Aufmerksamkeit erwarten. Sofern man nicht das Alterswerk der 83-jährigen Münchner Regielegende Dieter Dorn (Nürnberg-Debüt mit Einaktern von Feydeau und Beckett) für die wahre Sensation hält. Und natürlich die vielen Schauspieler, die wir noch gar nicht kennen – in Partnerschaft mit den wenigen, die geblieben sind.
PREMIERE: Mit dem einstigen Bildungsbürgerschreck Eugène Ionesco, Miterfinder und Serientäter des sogenannten absurden Theaters, der ab 1960 herrschende Bühnentraditionen wortgewandt mit drastischer Rätseldramatik samt Titeln wie „Fußgänger der Luft“ und „Welch gigantischer Schwindel“ unterminierte, andererseits (zum eigenen Entsetzen, denn er meinte ja manches todernst) die intellektuelle Theaterszene europaweit in sardonische Heiterkeitsausbrüche versetzte, startet der neue Nürnberger Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger seine Amtszeit: Das gewollt wagemutige Ionesco-Projekt EIN STEIN FING FEUER nimmt die früh für Studio-Experimente berühmten, in der verbleichenden Erinnerung geradezu klassisch provokant wirkenden Stücke DIE KAHLE SÄNGERIN und DIE UNTERRICHTSSTUNDE, vermischt mit weniger bekannten Texten des schrägen Poeten, ausdrücklich als Comeback an der Mülldeponie alternativer Fakten. Es geht um Macht im Spiel, wenn Worte ihren eigenen Sinn-Rohbau lustvoll detonieren lassen. Manchmal klingt es sogar wie eine erweiterte Philosophie von Karl Valentin. Beim letzten Nürnberger Versuch mit diesen mutwillig die Ordnung verwirrenden Ionesco-Philosophien, vor etwa 30 Jahren hier von Hansjörg Utzerath auf großer Bühne vorgeführt, gab es noch massive Buh-Rufe. Aber immerhin will nun 2019 auch Oldmaster Claus Peymann am Wiener Burgtheater eine Ionesco-Wiederbelebung versuchen. Glogers vorher fälliges Nürnberg-Debüt mit ausgerechnet dieser Avantgarde von gestern könnte als Signal verstanden werden.
Premiere: 27. September im Schauspielhaus. Weitere Termine 14., 24., 26. Oktober.
PREMIERE: Eine ganz andere Art von „Theater des Todes“ lernte man in Nürnberg (in der alten Messe mit „Die tote Klasse“, aber auch im Schauspielhaus durch die damals vor Ort entstandene Uraufführung „Wielopole, Wielopole“) einst mit den Projekten des denkwürdigen Künstlers Tadeusz Kantor aus Krakau kennen. Jetzt kommt der international an vielen Orten verwurzelte Schweizer Projekttheatermacher Boris Nikitin, der bereits daheim in Lausanne mit seinem „Versuch über das Sterben“ durch gesteuerte Todesahnungen auffiel, und entwickelt für den Saisonstart der Kammerspiele die AUFFÜHRUNG EINER GEFÄLSCHTEN PREDIGT ÜBER DAS STERBEN. Ein Schauspieler, ein Performer und zwei extra engagierte Gospel-Chöre aus der Region nutzen das Format der evangelikalen Predigt zum theatralischen Sinnstiftungsfest mit der Frage, „wie Verletzlichkeit zur Fähigkeit werden kann“. Oder so.
Premiere: 28. September in den Kammerspielen. Weitere Termine 30. September, 11., 13., 19. Oktober.
PREMIERE: An diesem Denkmal funkelnder Melancholie kam auch in Nürnberg bisher kaum eine Intendanz vorbei. Anton Tschechows DIE MÖWE, der weltweit wie ein immerwährendes Sensibilitäts-Hochamt geschätzte Blick in die (nicht nur russische) Seele, bringt das Nürnberg-Debüt der neuen „Hausregisseurin“ Anne Lenk (40), die sonst an den ersten Adressen zwischen München, Berlin und Hamburg ihre Bahnen zieht. Die Geschichte von den schwatzenden Sommergästen auf Egotrip, die bei ihrer Suche nach dem Glück, ersatzweise: der Kunst, ohne Rücksicht auf Verluste verbal über ihre Partner hinwegwalzen, ist denkbar subtilste Entlarvungskunst. Lachhaft, wie sich die Figuren zwischen Hochmut und Wehmut spreizen – aber herzergreifend, wo sie im Scheitern immer noch selbstbetrügerisch Vertrauen und Halt suchen. „Komödie“ ist das offiziell genannt, Tragödie wird es mindestens gleichberechtigt. Großes Schauspielertheater war es auch in früheren Nürnberger Aufführungen immer. Wir sind gespannt auf die aktuelle Variante.
Premiere: 29. September im Schauspielhaus. Weitere Termine 30. September, 11., 13., 28. Oktober.
PREMIERE: Die schon im Eigennamen für Selbstironie stehende Projektgruppe „geheimagentur“ ist die einzige Spur, die von den früheren Jahren zur neuen Schauspieldirektion durchgewunken wurde. Schon bei Klaus Kusenberg machte sie in der Zwischennutzkulisse der Südstadt-Kaufhausruine ihr Ding. Jetzt steht sie an der Spitze des Spielplans, der in der bisherigen BlueBox vorbereitet wird, quasi oben. Der Ort ist in einer schwer erklärbaren Reformwallung auf den prickelnden Namen „3. Etage“ umgetauft worden, was künftig für ein ständiges Kommunikationszentrum zwischen Künstlern und Publikum stehen wird. Mit DAS KABINETT DER VEREINIGTEN VERGANGENHEIT soll im Zeitsprung 1918–1968–2068 Weltliteratur, Zeitgeschichte und Vor-Ort-Recherche zur großen Frage gerafft werden: „Was fordert die Vergangenheit von der Gegenwart für die Zukunft?“. Eine „wirkliche politische Debatte“ versprechen die Initiatoren. Was immer das sein mag.
Premiere: 30. September in der 3. Etage. Weitere Termine 6., 11., 13. Oktober.
PREMIERE: Vorigen Herbst holte Intendant Peter Theiler für den Start seiner letzten Nürnberger Opernhaus-Saison die kolossalen, im Spielplan-Alltag selten anzutreffenden „Trojaner“ des Franzosen Hector Berlioz. Jetzt setzt Nachfolger Jens-Daniel Herzog an den Beginn seines ersten Jahres das noch großmächtigere, noch spitzfingriger als Rarität eingestufte Werk KRIEG UND FRIEDEN des russischen Komponisten Sergej Prokofjew frei nach dickleibiger Tolstoi-Weltliteratur. Deutlich mehr als vier Stunden reine Spieldauer haben beide Musiker für ihre meist nur fragmentarisch realisierten Stücke vorgesehen und damit, so auch bei der nur halbwegs gelungenen „Trojaner“-Schrumpfung durch Calixto Bieito, viele brutal kürzende Bearbeitungen ausgelöst. Von kundigen Opernführern ist Prokofjews selten zu erlebendes Schlachtengemälde als „eines der umfänglichsten Werke in der Geschichte des Musiktheaters“ eingestuft. Eine Legende, von der es nie die abschließend „authentische Fassung“ gab, lebt mit der so zynischen wie reizvollen Einschätzung, dass faktisch jede ambitionierte Neuproduktion zur Schaffung einer eigenständigen Uraufführung aufgerufen sei. Ob der inszenierende Intendant Jens-Daniel Herzog und seine junge Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz mit den Zeitmaßen mutig umgehen? Zunächst sind wahnwitzig viele Rollen zu besetzen, eigentlich mehr als 70 in 13 Bildern. Da dürften neben dem Rotstift der Gast-Etat und das Rollen-Splitting gleichermaßen strapaziert werden. Interessant vor allem, was heute im zweiteiligen Ur-Epos aus dem Russland zwischen 1809 und 1812 aufscheinen mag: Wie der Komponist aus dem Tolstoi-Psychogramm eines ganzen Volkes die vaterländisch pathetische Politgleichung von Napoleons Einmarsch 1812 mit dem Überfall von Hitler-Deutschland 1941 hinbiegt, stellte das alle Interpreten vor kaum lösbare Aufgaben in der Klemme zwischen Kunst und Plakatierung. Prokofjews Peiniger Josef Stalin, der auch vom Volk geliebte Opern gern persönlich mit Bannfluch belegte, ist pseudonym im Ensemble-Personal des Originals versteckt. Ob jetzt Putin schnell mal bei Napoleon vorbeischaut oder eher die Lovestory vom Rand der Weltgeschichte nach vorne rückt? Das schon 1944/45 konzertant mit Klavier aufgeführte Stück, später vielfach in Teilen abgeändert, hatte erst nach dem Tod des Komponisten 1955 so etwas wie inoffizielle Uraufführung. Er starb übrigens am gleichen Tag wie Widersacher Stalin. Msistlav Rostropovitch studierte 1986 in Paris die einzig weithin anerkannte Gesamtaufnahme ein, mit Stars wie Galina Wischnewskaja und Nicolai Gedda.
Premiere: 30. September im Opernhaus. Weitere Termine 3., 7., 13., 21. Oktober.
PREMIERE: Vielleicht wird das ein Nachfolger für den Bühnenhit mit Hitchcocks „39 Stufen“, zumindest die Zielrichtung weist darauf hin. Im Schwarzweiß-Stil des Film noir, den Tricks dieses extradry nachschmeckenden Genres mit Augenzwinkern zugetan, setzt der junge Autor Alexander Eisenach (das Stück „Der kalte Hauch des Geldes“ war sein größter Frankfurter Erfolg) in der Detektiv-Story DER ZORN DER WÄLDER den Privatdetektiv Pritchet auf die Spur eines Verschwundenen. Sozialterroristen schmieden in sumpfiger Natur dubiose Befreiungspläne. Die Uraufführung im Vorjahr in Bonn wurde allseits gelobt. Als Interpret des eigenen Textes ist der hauptberufliche Regisseur Eisenach nicht zu haben, das macht in Nürnberg der junge Kieran Joel, dessen Diplom von der Berliner Ernst-Busch-Hochschule noch druckfrisch ist und der am Münchner Volkstheater kürzlich mit burschikosem Tonfall für Shakespeares „Romeo und Julia“ auffiel.
Premiere: 5. Oktober in den Kammerspielen. Weitere Termine 6., 10., 20. 21. Oktober.
PREMIERE: Es könnte sein, dass Steven Spielberg seine Verfilmung dieser munter im Spaßmacher-Ton parlierenden Hochstapler-Story mit dem jungen Leonardo DiCaprio 2002 für eine Entspannungsübung nach drei „Indiana Jones“-Produktionen hielt. Man kann es selber daheim überprüfen, denn CATCH ME IF YOU CAN gehört zu den ewig kreisenden Hollywood-Titeln in der TV-Wiederholungsschleife. Die Musical-Fassung von Filmkomponist Marc Shaiman, der schon mit dem Jux „Hairspray“ ins ewige Gedächtnis der Showkino-Frechheiten eingezogen war, gab dem sympathischen Fluchthelden, der absturzgefährdete Pseudokarrieren als unrechtmäßig praktizierender Pilot, Arzt und Anwalt gegenüber jedem geordneten Leben bevorzugt, zehn Jahre später noch mehr Schwung. Für Nürnberg ist es nach den Jahren der konservierbaren Broadway-Oldie-Fixierung jedenfalls ein entschlossener Schritt Richtung Musical-Gegenwart. Groß ist die Auswahl an deutschen Kennern & Könnern in dieser Sparte nicht, doch Gil Mehmert, der auch als Hochschulprofessor „Musical“ lehrt und dennoch keine Angst vor dem Einstieg in Ranschmeißerprojekte wie „Wahnsinn“ (ja, Wolfgang Petry) und „Priscilla – Königin der Wüste“ kennt, gehört dazu. Er führt Regie mit Spezial-Ensemble. Dirigent Jürgen Grimm, der Pop und Jazz studierte und neben „Evita“ und „Hair“ auch schon „Jesus Christ Superstar“ einstudierte, versucht es erstmals mit der Staatsphilharmonie.
Premiere: 6. Oktober im Opernhaus. Weitere Termine 9., 19., 26. Oktober.
PREMIERE: Nach zehn Jahren Krieg ist Troja ein Trümmerfeld, das die Sieger in ihrem Gewaltwahn aber nicht ruhen lässt. Überlebende Frauen werden verschleppt, das Ungeheuerliche produziert ständig neue Ängste über „das Fremde“ und ist nicht mehr einzufangen. Mit DIE TROERINNEN von Euripides schließt Jan Philipp Gloger tatsächlich eine Nürnberger Spielplanlücke, denn die griechische Antike gehört seit Jahrzehnten zu den Seltenheiten im klassischen Angebot. Davon abgesehen, dass es über ein paar Jahrtausende hinweg direkt in die aktuelle Zeitgeschichte trifft. Die Gloger-Inszenierung ist ein Duplikat, sie entstand am Badischen Staatstheater Karlsruhe und die Übernahme wird mit der Uraufführung eines Textes von Euripides-Übersetzer Konstantin Küspert (der Frankfurter Autor und Dramaturg gewann mit „europa verteidigen“ den Publikumspreis der renommierten Mülheimer Theatertage) neu positioniert. Der POSEIDON-MONOLOG, als Ergänzung für Nürnberg entstanden, ist die programmatische Enttäuschungsrede des Meeres-Gottes über das Versagen der Menschheit.
Premiere: 7. Oktober im Schauspielhaus. Weitere Termine 12., 25., 31. Oktober.
STAATSTHEATER NÜRNBERG
Richard-Wagner-Platz 2-10, Nbg
staatstheater-nuernberg.de
GOSTNER HOFTHEATER
Auf geht´s zum Vierzigsten: Gisela Hoffmann war schon dabei, als das Gostner Hoftheater der skeptischen Nürnberger Kultur-Szene eine semiprofessionelle Alternative im damaligen „Glasscherbenviertel“ bescherte: Zum Start in die 40. Spielzeit ist sie die unumstrittene Institution in der Institution, künstlerische Leiterin im längst auf Augenhöhe mit den umliegenden Stadt- und Staatstheatern arbeitenden Team. Die Jubiläumssaison bietet, wie längst üblich, selbstbewusst Ergänzung zu den großen Geschwistern, diesmal z.B. Stücke von Lots Vekemans, Eugène Labiche und Henning Mankell, dazu eine Uraufführung des bemerkenswert vielseitigen Schauspielers und Autors Helwig Arenz.
PREMIERE: Von der ersten Produktion darf vorweg behauptet werden, dass sie das Publikum bewegt. In „being DON QUIJOTE!“ sehr frei nach Cervantes, von Regisseur Laurent Gröflin in der Fassung von Christine Haas auf ein Trio-Drama konzentriert, werden die Zuschauer zu mehreren Aktionsstationen durch Gostenhof und womöglich zu Erkenntnissen über die Kraft der Liebe geleitet. Bei den Windmühlenflügeln wird der Ausstatter wohl auf die Emphase des Titelhelden gleichermaßen wie auf die Phantasie der Zuschauer setzen. Das Publikum marschiert mit den drei Akteuren (Barbara Seifert, Tammo Winkler, Thomas Witte) vom Theaterhof zur Naturkulisse eines verwilderten Gartens und für Läuterungsversuche in die nahe Dreieinigkeitskirche. Wo die Wahrheit steckt und was die Träumerei anrichtet, wird in „verwunschenen Hinterhöfen“ erörtert – ehe alle wieder zurück zum Ausganspunkt „Theater“ eilen. Der Ritter von der traurigen Gestalt, der immer gegen alle Niederlagen ein optimistischer Hoffnungsträger bleibt, gibt niemals auf. Mobile Philosophie mit Witz, wie geschaffen für eine Gostner-Saisoneröffnung. Die Musik von Robert Oschatz sorgt dafür, dass die nachzuckernde Broadway-Dulcinea im Ruhestand bleibt.
Premiere: 21. September. Weitere Termine 22., 27. bis 29. September, 3. bis 6. und 11. bis 13. Oktober in Gostenhof.
GOSTNER HOFTHEATER
Austraße 70, Nürnberg
gostner.de
TAFELHALLE
PREMIERE: Eine neue Performance-Reihe startet Choreographin Eva Borrmann von PLAN MEE. Sie sucht in DAS ERBE die doppelspurige Auseinandersetzung mit Architektur und Erinnerung unter dem verwirrenden Schlachtruf „Lasst uns gemeinsam erinnern und vergessen“. POLITICS ON THE GROUND will „Flüchtigkeit der Bewegung“ im Raum fixieren. Eine weitläufig angelegte Ensemble-Unternehmung, die noch nach Reibung an anderen Auftrittsorten suchen will, aber hier die Tafelhallen-Saison eröffnet.
Premiere: 20. September in der Tafelhalle. Weitere Termine 21. und 22.9.
TAFELHALLE
Äußere Sulzbacher Str. 62, Nbg
tafelhalle.de
THEATER ERLANGEN
Intendantin Katja Ott hat ihren 2009 angetretenen Vertrag inzwischen bis mindestens 2024 verlängert, wird also Langzeit-Prinzipalin in Erlangen. Ihre kontrolliert ambitionierte Theater-Mixtur aus Klassiker-Überprüfungen, hausgemachtem Entertainment, komödiantischer Stadtforschung und Abzapf-Dramatisierung mit Weltblick gefällt der Rathauspolitik und den Abonnenten gleichermaßen recht gut. Das bringt im anlaufenden Programm neben Standards wie „Arturo Ui“ von Brecht und „Der zerbrochne Krug“ von Kleist und einer „Live-Film-Inszenierung“ genannten Produktion von Klaus Gehre nach Orwells „Farm der Tiere“ später auch die Wiedervorlage von David Mamets „Oleanna“ von 1992. Da geht es um den Vorwurf sexueller Belästigung an der Uni, der Text passt also zur laufenden #MeToo-Debatte. Mamet lässt schon zwei Jahrzehnte vor dieser Auseinandersetzung Zweifel an der Radikalisierung der Wahrheitsfindung erkennen und seine Interpreten von 2018 sprechen davon, dass Gedankenfreiheit „am Altar der Empörung geopfert wird“. Stoffangebot für einen kleinen Shitstorm? Ach was, das Markgrafentheater feiert ab Januar seinen 300. Geburtstag.
PREMIERE: Das ist doch mal politische und spielerische Ambition im Doppelpack: Eine interaktive Game Show zur Rettung der Welt unter dem Titel RESET: EARTH soll „nachhaltige und ausgeglichene Gesellschaft simulieren“, vorbei an den absturzgefährdenden Klima-Gipfeln. Das Gewinnerkonzept im Erlanger Regienachwuchswettbewerb (Caspar Bankert, Hannes Kapsch, Johanna Kolberg) lädt zur interaktiven Show. Samt der Frage, ob man nicht auch „in echt“ damit beginnen sollte, eine neue Welt zu bauen.
Premiere: 22. September. Weitere Termine 23., 29. September, dann wieder 6., 7. Oktober in der Garage.
COMEBACK: Tumult in der WG: Soll ein Zimmer, das vorübergehend frei wird, an „Geflüchtete“ vergeben werden? Eine theoretisch begeisternde, praktisch von Zweifeln umstellte Idee. Stoff für das deutsche Autorenpaar für Alltagsdramatik mit Komikfaktor. Lutz Hübner und Sarah Nemitz (siehe auch „Frau Müller muss weg“) lassen in WILLKOMMEN eine Mixtur aus kränkelnden Correctness-Absichten und kerngesundem Egoismus hochwirbeln. In Erlangen hat man schon Erfahrung mit dieser Art von Comedy-Aufklärung.
Termine: 30. September, 1. Oktober im Markgrafentheater.
PREMIERE: Was mag die New Yorker Gesellschaft wohl dazu sagen, wenn sie in Erlangen/Germany auf offener Bühne seziert wird? Wir vertrauen auf Trump und Twitter. Jedenfalls war die aktuelle Intendanz des kurz vor dem 300. Geburtstag stehenden Markgrafentheaters blitzschnell, denn Salman Rushdies bislang neuester, zuverlässig spannend fabulierender Roman GOLDEN HOUSE von 2017 hat grade erst die deutsche Bestsellerliste geräumt. Er erzählt von einem Filmemacher, der die dekadent erscheinende Milliardärsfamilie der Goldens (Patriarch Nero und seine erwachsenen Söhne) im Nachbarhaus der Metropole so interessant findet, dass er in ihnen das passende Personal für ein Drehbuch zur Zeitgeschichte sieht. Doch dann nimmt alles unvorhersehbare Wendungen, der amerikanische „Pate“ heiratet eine junge Russin mit undurchschaubarem Hintergrund, das Golden House erbebt in seinem massiv goldenen Fundament. Eine Gesellschaft „zwischen Obama und Trump“ gerät unters Vergrößerungsglas der kampflustigen Poesie. Im Buch ist das Schock und Genuss zugleich. Ob es als Theater auch funktioniert? Thomas Krupa, der in Erlangen schon Josef Bierbichlers spröden Roman „Mittelreich“ sehr werktreu breitspurig auf die Bühne brachte, dramatisiert und inszeniert diese ganz andere Art von dichterischer Üppigkeit mit Video und Musik.
Premiere: 27. September. Weitere Termine 7., 8., 17., 18. Oktober im Markgrafentheater.
THEATER ERLANGEN
Theaterplatz 2, Erlangen
theater-erlangen.de
STADTTHEATER FÜRTH
Werner Müller leitet das Fürther Theater seit 1990 und sicher mindestens noch bis zum offiziellen Ruhestand in fünf Jahren. Sein Mehrspartenkonzept, aus Gastspieleinkäufen mit Höhepunkten im Tanztheater und manchmal sehr gewagten Hausinszenierungen, durchsetzt von Ortsprojekten wie der Bürgerbühne und dem weiten Aktionsradius des eigens erfundenen Jugendtheaters, sichert dem Stadttheater das eigene Profil in der Region. Und natürlich darf im Fürther Sortiment der Spezialimport eines kleinen, feinen US-Musicals nicht fehlen: Cy Colemans „Little Me“ als Deutschland-Premiere mit den Musikern von Flügel-Swinger Thilo Wolf im März 2019. Volker Heißmann, der in der neuen Nürnberger Operetten-Planung den „Pfisters“ aus Berlin weichen muss, singt und spielt dazu.
COMEBACK: Die Bestseller von Marc-Uwe Kling sind amüsante Triumphe der Kleinkunst über das Drama. Oder der Kindsköpfigkeit über das Grübeln. Mit DIE KÄNGURU-CHRONIKEN, den schwadronierenden Weisheiten eines redseligen Beuteltiers, hat der singende Kabarettist multimedial abgeräumt – von der Brettl-Tournee bis zur Bestsellerliste des Buchmarkts. Das Theater fasst zusammen und folgt errötend der Erfolgsspur. Die Fürther Inszenierung von Thomas Stang hatte nach Startproblemen voll eingeschlagen und geht in die zweite Spielzeit.
Termine: 22. und 23. September im Stadttheater.
PREMIERE: Eine große Schauspiel-Eigenproduktion gehört zu den stabilen Ehrgeizstrukturen des Hauses. Letzte Saison Brechts „Mutter Courage“, diesmal Ferenc Molnárs halbbitteres Volksstück LILIOM, das einst sogar Hans Albers in Pose des Volksfest-Schaukelburschen als kombinierten Kino- und Bühnenstar bestätigte. In Fürth geht der fränkische Regie-Paradiesvogel Barish Karademir (manche halten ihn für ein wildes Semi-Genie, andere für einen umsichtigen Imitations-Artisten), der zwischen Gostner, Tafelhalle und Fürther Theater in den letzten Jahren schon allerlei wagte, ans gefühlige Werk. Er wird in der anlaufenden Saison auch wieder mit einem Polit-Stück von Falk Richter in der Tafelhalle präsent sein und im nahen Ingolstadt im Januar die Adaption von Michel Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ inszenieren. Mit dem Liliom, diesem so moralfreien wie in Maßen gewaltbereiten Selbstverwirklicher, kann er womöglich den Mainstream-Nihilismus des französischen Autors mit den radikalen Hintergedanken schon mal auf Umwegen anpeilen. Zehn Personen spielen bei der Molnár-Großproduktion in Fürth.
Premiere: 17. Oktober im Stadttheater. Weitere Termine 18., 19., 20., 21., 23., 24. Oktober im Stadttheater.
STADTTHEATER FÜRTH
Königstr. 116, Fürth
stadttheater.fuerth.de
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