Dem Egers sei Welt #66: Fahrradtour III
#Comedy, #Egersdörfer, #Fahrrad, #Kabarett, #Kolumne
Ein kurzer heftiger Schauer wird das sein, entsprungen aus der Misslaune eines plötzlich erzürnten Himmel. Auf den Rücken des Hemdes fallen ein paar Tropfen, mehr ist das nicht, dichtete ich mir selbst einige Zeilen einer Hoffnungsballade. Dann macht die Sonne ein strahlendes Witzchen und das Firmament lacht breit und vergisst sogleich seinen ungerechtfertigten Gram.
Die Vögel schütteln die feuchten Flügel, hopsen vom Ast und ziehen singend ihre Bahnen im blauen Gewölbe der Luft, so wie sich das der lustige Herrgott für einen Sommerabend ausgedacht hat. Die Tropfen verdunsten aus dem Stoff der Hemden, weil die menschenfreundlichen Strahlen des warm leuchtenden Sterns es so wollen und unsere Leibwärme vom fleißigen Treten der Pedale ihnen von der anderen Seite her gern dabei hilft. Aber der Schöpfer des Himmels und der Erden war über alle Maßen angepisst, und wir sollten das zu spüren bekommen. Der Regen nahm zu. Das fallende Wasser platschte heftig auf uns. Das Oberteil klebte. Bis auf die Unterhose wurden wir geduscht. Die Farbe der Schuhe färbte die Socken. Zwischen die Finger und hinter die Ohren leckte uns der aufdringliche Regenhund. Wir blinzelten hilflos durch die Flüssigkeit, die eimerweise auf uns fiel. Der Sandweg versulzte. Mit steifen Armen und zusammengepressten Zähnen ruderten wir um untiefe Pfützen herum. Herrgott, jetzt reicht´s aber auch mal, dachte ich mir insgeheim. Du hast freilich den Größten und hast uns von oben bis unten vollgepinkelt wie es besser nicht geht. Wir geben gleich eine Runde Demut aus. Aber dann lass es auch mal gut sein mit dem Ungemach. Auch als wir den Wald hinter uns ließen, wollte das Wetterorchester die Tonart nicht wechseln. Wir fuhren durch eine Ortschaft mit kleinherzigen Häuschen. Mein Freund bog vor mir rechts ab und blieb unter dem schützenden Dach des Bushäuschens in Trebitz stehen. Wir prusteten mit Ingrimm die Tropfen von den Lippen und schüttelten die nassen Köpfe.
Ich stieg vom Fahrrad ab und unterhielt mich mit dem Freund ohne Worte. Wir streiften die Feuchtigkeit von den Armen und Schenkeln. Er hatte sich auf ein schmales Bänkchen gesetzt. Ich stand und betrachtete das fallende Wasser. Er stand. Ich saß auf dem Bänkchen. Er setzte sich und ich stand und schaute auf den Regen. Ein Pfützchen hatte sich gebildet. Immer größer wurde es, von Rinnsalen genährt. Immer beträchtlicher wurde die Pfütze und die Rinnsale schwollen zu einem Bachlauf. Eine Überschwemmung im Zeitraffer und Kleinformat. Ich kramte in meiner Fahrradtasche und fischte eine Bierdose, die übrig geblieben war vom vorherigen Abend. Kalt war sie zwar nicht, trotzdem öffnete ich das Ding und hielt es dem Freund hin. Der schüttelte den Kopf und sagte: „Das ist ein verdammter Wolkenbruch.“ Ich trank und sagte dann: „Das hört gleich auf. Du wirst es sehen.“ Dann starrte ich mit Konzentration auf den Vorhang aus Himmelstränen. Es war die selbe Konzentration wie beim Angeln, wenn man den Schwimmer fixiert und sich mit Macht versichert, dass die Position die richtige ist, der Zeitpunkt mit Umsicht gewählt, und man weiß, dass gleich einer anbeißt, anbeißen muss, wie aus einer Gesetzmäßigkeit heraus. Mit Willensstärke und Kraft fixierte ich die Wolkenbrühe und schaute wie ein strenger Befehl. Half meine Mühe nicht schon? Ließ die Dichte des Schauers nicht nach und zeigte der Wasservorhang vor mir nicht schon großflächige Löcher? Ganz ähnlich wie beim Angeln, wenn der Fisch doch nicht in den Wurm am Haken beißt, selbst wenn man es mit höchsten Druck der Gedankenführung versucht, wurde der Unterstand weiter von oben begossen. Die Regenwahrscheinlichkeit war für diesen Tag mit 60% angegeben worden. Ich erinnerte mich ungern daran. Meinem besten Freund wurde vom behandelnden Arzt vor seiner Herztransplantation mitgeteilt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er die Operation überlebe, bei 50% liege. Er hatte alles auf rot gesetzt und die Kugel rollte auf schwarz. Er starb bei der Prozedur. Scheiß auf die Wahrscheinlichkeit. Ich trank aus der Dose und beendete die sinnlose Anstrengung. Ich trank aus Langeweile und betrachtete die Kritzeleien an der Wand. Die Jugend malt keine Penisse mehr. Die Jugend hat aber auch kein Interesse daran, Vaginen wo hinzuschmieren. Ich trank und rülpste. Der Freund sagte: „Das hilft auch nichts.“ Er stand. Ich legte mich auf das Bänkchen und starrte an die Decke des Häuschens.
In der nicht nachlassenden Niederschlagsaufführung trat nun die rundliche Mutter auf. Aus einem der bescheidenen Häuschen war sie in orangen Plastikschlappen getreten und lief unter einem grünen Schirm auf die aufgeschwemmte Sandstraße. Unter ihrem Arm hatte sie ein zweites kleines Schirmchen geklemmt. Ihre Schritte spritzten. Sie lief direkt auf uns zu, verließ die Bühne des grimmigen Wetters und stellte sich zu uns in den Zuschauerraum. Der Freund richtete das Wort an die Frau. Nicht sofort machte er das, weil er ein Taktgefühl hat. Er ist der Sprecher nach Außen in unserer Zweisamkeit. Ich schaue meist nur unwirsch, was ihm die Kontaktaufnahme erleichtern mochte, weil er mit nur ein bisschen Freundlichkeit viel beim Gegenüber erreichen kann, das sich gern öffnet, schon allein deshalb, weil die Person sich von der Furcht davon abzulenken versucht, ich könnte im nächsten Moment zubeißen oder zumindest gleich mit einer Rempelei in sprachlicher oder körperliche Weise beginnen. Mein Freund entkorkte mit der ihm eigenen feinfühligen Freundlichkeit die Wortflasche der Frau, die unseren Ohren reichlich an Redseligkeit einschenkte. Der Radweg durch die Ortschaft sei kostspielig geteert worden. Die sonstigen Straßen seien, wie wir selbst sehen könnten, Sandwege, die jetzt verschlammen. Wenn Autos vorbeiführen, spritze der Dreck bis an die Fensterscheiben. Bei so einem Wetter versinke man im Morast bis über die Knöchel, wenn man nicht Obacht gebe. Im Winter rutsche man ständig aus und könne froh sein, wenn man sich nicht jede Woche ein Körperteil breche. Der Gasthof zur Linde werde von zwei alten Leuten betrieben. Hausmannskost würden die kochen. Gute Hausmannskost. Wenn man Hausmannskost möge, sei man dort an der richtigen Adresse. Die Portionen seien groß, wirklich groß und üppig. Die Fleischgerichte seien hervorragend. Die Wirtsleute hätten keine Nachkommen. Wenn die aufhören, dann wäre es auch mit dem Gasthaus vorbei. Heute hätte die Linde nicht geöffnet. Ein Café habe man seit kurzer Zeit im Dorf. Schön könne man dort sitzen und sich unterhalten. Heute habe das Café aber nicht geöffnet. Die Tochter hätte neulich zur Mutter gesagt, sie würden hier alle am Arsch der Welt leben. Die Mutter sagte, sie lebe gerne hier in dem kleinen Dorf. Immer und immer wieder sagte sie das wie ein Gebet. Ich hoffte, dass es in Erfüllung gehe. Dann kam der Bus. Er drehte eine Schleife, bevor er vor dem Häuschen zum Stehen kam. Ein kleines Mädchen mit Schultasche auf dem Rücken stieg aus und lief auf die Frau zu. Die Frau spannte den kleinen Regenschirm auf und reichte ihn der Tochter. Beide gingen in den Regen hinaus, den Schlammweg weiter zum Haus. Auf dem rosa Regenschirm und auf der rosa Büchertasche war ein Mädchen abgebildet. Es war vielleicht eine Schauspielerin oder sie hatte im Internet einen erfolgreichen YouTube-Kanal. Kann aber auch sein, dass es eine Figur aus einem Manga war. Ich hatte keine Ahnung.
UND WAS MACHT EGERS SONST SO IM JULI?
13. Juli / Meistersingerhalle, Nbg: Matthias Egersdörfer gibt den nonchalanten Conférencier beim Abschiedskonzert des scheidenden Generalmusikdirektor Marcus Bosch unter dem Motto „Letzte Dinge – 8. Philharmonisches Konzert“, u.a. mit der Staatsphilharmonie Nbg.
Noch mehr Termine – außerhalb der Region – unter www.egers.de.
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