Ein Glückskeks kommt selten allein
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Wie der Nürnberger Rekormeister der „Schauspieldirektion“ Abschied nimmt: Ein Blick von Dieter Stoll auf Spuren von Klaus Kusenberg (Spartenchef von 2000 bis 2018) am Staatstheater
Als Dompteur der ganz großen Worte, womöglich gar Zeremonienmeister der Selbstverklärung, wird Nürnbergs rekordverdächtiger Schauspieldirektor Klaus Kusenberg auch am Ende seiner 18-jährigen Amtszeit Ende Juli nicht an- bzw. abtreten. Ja, er hat hier „Faust“ inszeniert und „Hamlet“, aber der bevorstehende Abschiedsabend, der an zwei Juli-Terminen als vermutlich zu Herz & Zwerchfell gehende Theater-Schau angesetzt ist, kreist nicht um „Sein oder Nichtsein“ und wird zuverlässig „des Pudels Kern“ in Ruhe lassen, er trägt den betont lapidaren Titel „Glück gehabt“. Hm, das kann man von mindestens zwei Seiten her bestätigen: Kusenberg mit Nürnberg, Nürnberg mit Kusenberg. Und überhaupt. Den Ausruf „Neues Spiel, neues Glück“, der darauf passt wie das Deckelchen auf den Topf, kennen wir von alternativer Freizeitgestaltung auf dem Volksfest. Der junge Jan Philipp Gloger (37) tritt die Nachfolge und damit seine erste Direktion im Hoffnungsträger-Modus am Richard-Wagner-Platz an, der eine ganze Generation reifere Klaus Kusenberg (65) wird als erfahrener Spartenchef in Regensburg willkommen geheißen. Er hinterlässt Spuren in Nürnberg, die mit Sicherheit nicht in einen einzelnen Glückskeks passen. Eher handelt es sich um ein kleines Kapitel Stadtgeschichte.
Kann eine Theater-Direktion volljährig werden? Falls sie mit 17 noch Träume gehabt haben sollte, was passiert(e) dann im letzten Folgejahr beim Erreichen der Mündigkeit, das im konkreten Fall noch dazu theoretisch den Übergang zum Ruhestand einschließt? Der Stoff, aus dem Grotesken sind. Kommt der Abschied nach 18 Spielzeiten zu früh, zu spät oder grade richtig? Ist das mulmige Gefühl von „Das war‘s also!“ auf beiden Seiten der Bühnenrampe eher Nostalgie-Pauschale oder Phantomschmerz? Fragen über Fragen, die Antwort weiß ganz allein … naja, wir wollen nicht zu sehr übertreiben. Eine Bilanz ist nicht das schlechteste Placebo bei der entzündlichen Selbstvergewisserung, die im Erinnern steckt. Egal, ob man zum Ende einer Ära mit Blumen wedelt oder Blitzschläge sortiert. Also, um gleich mal absolut subjektiv zu sein, ich habe an diesem Nürnberger Schauspielhaus etliche Spartenchefs (mit Vorschusslorbeeren) kommen und (mit Nachhall) gehen sehen. Hesso Huber war (für 16 Jahre) der erste in der Reihe, dann kam (sehr kurz, nur ein Jahr „Volkstheater“) Hans Dieter Schwarze, als Nothelfer anschließend Friedrich Schirmer (ein Jahr), nach ihm (für 15 Spielzeiten) Hansjörg Utzerath, gefolgt von eher in Monaten messbaren Kurzzeit-Direktionen wie die von Lew Bogdan, Raymund Richter, Wulf Konold und (für immerhin fünf Jahre) der erschöpfend gradlinige Holger Berg. Klaus Kusenberg behielt das Amt anschließend im mehrfach gestreckten kulturpolitischen Verlängerungsritual volle 18 Spielzeiten, von Herbst 2000 bis Juli 2018. Eine Erfolgsgeschichte, klarer Fall, an steigenden Ansprüchen und gesteigerten Abonnentenzahlen, an Quoten und Qualität, ja sogar an der Überschaubarkeit der Katastrophen messbar. In meinem abgespeicherten Besucherbewusstsein ist er schon rein statistisch in seinem Genre der Nürnberger Rekordmeister, was in dieser Stadt allemal ein prickelnder Begriff ist. Aber jetzt: BILANZ!
Mit einer Prise Zynismus von jener Sorte, wie sie unter darstellenden Künstlern selbstverständlich nur in der hinteren Ecke der Kantine gepflegt wird, könnte man Nürnbergs Schauspiel den unheimlichen Hang zu nackten Leitfiguren als Prophetinnen künstlerischer Trendwenden unterstellen. Als am 14. Oktober des Jahres 2000 zur Eröffnung der damals noch für keinerlei Marathon-Laufzeiten nominierten Schauspieldirektion von Klaus Kusenberg bei irritierter, dann elektrisierter Zustimmung des Publikums die blutrünstige „Margaretha di Napoli“ (Melanie Wiegmann, heute dauerhafter Kaffeestunden-Gast mit der ARD-Telenovela „Sturm der Liebe“) aus dem frisch umgepflügten Fundus von William Shakespeare in Regie des vor Ort unbekannten Georg Schmiedleitner hüllenlos durch die Männerwelt stolzierte, blitzte bei reiferen Zuschauern eine Déjà-vu-Erleuchtung. Hatte doch auf den Tag genau 23 Jahre zuvor an gleicher Stelle ein anderer Spartenchef mit Aufbruchstimmungsmacher-Qualität, der Wahlberliner und Vertragsnürnberger Hansjörg Utzerath, seine fränkische Ära ebenso als Gegenmodell zur um sich selbst rotierenden Konvention gestartet, mit einer entblätterten „Rose Bernd“ (Christiane Lemm) nach Gerhart Hauptmann. Sie wirkte auf Karl Kneidls Macho-Bühnenlandschaft aus riesigen LKW-Reifen wie das schutzlose Opfer schlechthin – als flirrende Projektion zirkulierender Männerphantasien. Da konnte man drüber streiten, und tat es denn auch. Die Wirkung der eleganteren, bis an die Schmerzgrenze machtbewussten Shakespeare-Margaretha von 2000 war ähnlich, obwohl sie den Körper in ihrem Manipulations-Refugium wie ein Waffenarsenal einsetzte. Nicht der „Skandal“ der Entblößung, sondern diese etliche portionierte Gewissheiten übers Gute, Wahre und Schöne erschütternde Vieldeutigkeit solcher Enthüllung war das Signal für neu motivierte Ansprüche an Theater in Nürnberg. „Auf der Höhe der Zeit“, lautete das Mantra, das Kusenberg als Endlosschleife bis in die Gegenwart durch Leitgedanken zirkulieren ließ. Verbunden übrigens mit dem blinkernden Begriff „Großstadttheater“, der jeder Beschreibung des freistaatstragenden Instituts-Ehrentitels lässig spottet.
Unabhängig von Textil- und Metaphernfreiheit, vom Reiz nackter Tatsachen und umkleideter Interpretationen, war die erste Premiere, der in selber Direktion bis Sommer 2018 rund 250 weitere folgen sollten, ein Fanal der Entkrampfung. Man hatte in den Jahren vorher vor lauter „Correctness“ sogar Yasmina Reza mit ihrer weltweit erfolgreichen „Kunst“-Satire aus dem Spielplan verbannt. Sie wurde dann mit drei Titeln, dem Dauerläufer „Der Gott des Gemetzels“ an der Spitze der Popularität, glänzend rehabilitiert. Klaus Kusenberg, der den hingebungsvoll gepflegten Anspruch eines basisschaffenden Haus-Regisseurs mit vergleichbarer Hochachtung vor dem ewigen Skakespeare und dem ewig nachlegenden Alan Ayckbourn (etwa 40 „Chef“-Produktionen in der sanft entschleiernden Schaukelbewegung zwischen Großklassik und Zeitgenossenmittelgewicht, meist mit Ausstattungspartner Günter Hellweg, weist seine persönliche Regie-Endabrechnung aus) keinesfalls an die Autoritätsbehauptung eines amtlichen Leit-Avantgardisten koppelte, schaffte das Kunststück der offensiven Bescheidenheit. Zumindest dieser Teil der Haltung bleibt als konstruktiver Widerspruch zum Prinzipal-Vorbild Claus Peymann. Bei ihm hat der Nürnberger Spartenchef als Assistent in Bochumer Jahren nach eigener Einschätzung am meisten gelernt, zum Beispiel „ein ganzes Theater in Bewegung zu halten“. Den „BE“-Zampano vom Schiffbauerdamm mit angekündigter Reißzahn-Selbstverpflichtung wollte der friedfertige Nürnberger Direktor aber nicht adaptieren. Eher umwarb er, nach dem demonstrativ unkonventionellen Start auch im eher berechenbaren Repertoire-Alltag, neben der neugierig gewordenen Öffentlichkeit und dem ganz ohne Kahlschlagsbedrohung entspannt entwicklungsfähigen Schauspieler-Ensemble systematisch die reisenden Regiekollegen, schon 2000/01 waren fünf davon Kolleginnen, zur Talententfaltung vor Ort. Immer Bewegung, selten Tumult, nie „Nürnberger Gwerch“.
Die erste Saison war bohrend programmatisch: Wie Kusenberg nach Kenntnis von dessen Arbeit den in Österreich beachteten Georg Schmiedleitner mit vollem Risiko für die Startsymbolik platzierte (und selber mit Ibsens spröden „Stützen der Gesellschaft“ und Elmar Goerdens wohlmeinender Nathan-Adaption „Lessings Traum“ das solide Stadttheater nachschob), wie er mit Dramaturgie-Sozius Frank Behnke die noch nicht etablierten Aufsteigerautoren sofort und später oft wieder positionierte (Kerstin Specht mit „Die Froschkönigin“, Thea Dorn mit der wunderlichen Dietrich/Riefenstahl-Begegnung „Marleni“, Marius von Mayenburg mit „Feuergesicht“, Urs Widmer mit der Büro-Apokalypse „Top Dogs“, Eve Ensler mit der Intimitätsirritation „Vagina-Monologe“ – alle in einer Spielzeit), war modellartig tollkühn. Wie er den sonst eher als Spezialisten von Familien-Dialektik geschätzten Mundartdramatiker Fitzgerald Kusz aufs Mysteriöse, den umgebürgerten „Fränkischen Jedermann“, ansetzte und nach Zwischenschritt mit dem „Alleinunterhalter“ durch die nur bedingt Christkindlesmarkt-konforme Bescherungsgroteske „Lametta“ seine Unverwechselbarkeit bestätigen ließ, war Liebeserklärung an die Wahlheimat. Freiräume zu schaffen für die Geister, die dem Ruf gefolgt waren, gehörte zu den wichtigsten Aufgaben. Egal, ob es um alte oder moderne Klassik ging oder um den gleichberechtigten Auftritt der Zeitgenossen.
Man kann die Spielpläne nach Basisschwerpunkten sortieren (also ja, der Tragödien-Shakespeare war wie an ungefähr jedem Theater mit Anspruch der umfangreichste und von Goethes „Faust“ bis Schillers „Räuber“ fehlte auch nichts – alles sorgsam durchgerüttelt), die stattliche Zahl der nicht gleich wieder vergessenen Uraufführungen oder Deutschland-Premieren als Entdeckungsmuster in den Vordergrund holen (die an vielen Bühnen nachgespielten „Verbrennungen“ des Kanadiers Wajdi Mouawad, Tom Lanoyes „Atropa“ und Alistair Beatons „Feelgood“ zum Beispiel), die Neugier auf deutschsprachige Nach-
rücker (Dea Loher, Roland Schimmelpfennig, Christoph Nußbaumeder) und die Erlösung verkannter Größen vom speziellen „Nürnberg-Fluch“. Reza hatten wir schon, an Extraklasse-Schwadroneur Thomas Bernhard scheiterten die Regisseure noch bis ins erste Kusenberg-Jahr hinein mit untertänigsten Verkrampfungen, ehe der inszenierende Chefdramaturg Frank Behnke (jetzt Schauspieldirektor in Münster) 2005 mit „Alte Meister“ eine wunderbar leichtfüßige Interpretation gelang, die er dann mit „Heldenplatz“ in die zweite Runde führte.
Die mindestens so gefürchtete wie bewunderte Elfriede Jelinek wurde, nachdem Stefan Otteni mit seinem von ausufernden Uraufführungs-Dimensionen unbeeindruckten Satire-Konzentrat von „Die Kontrakte des Kaufmanns“ 2010 in der Tafelhalle die Tür weit aufgestoßen hatte, ein geradezu populärer Spielplan-Posten mit Bettina Bruiniers Regie „Die Schutzbefohlenen“ von 2016 als weiterem Highlight. Georg Schmiedleitner, in Österreich inzwischen mit dem Nestroy-Theaterpreis geschmückt, wurde derweil zum meistgebuchten Nürnberger Dauergast mit 19 Inszenierungen (plus acht nebenan als Spätberufener der Oper), von denen die frühen und mittleren von Dea Lohers „Unschuld“ über „Der Bus“ von Lukas Bärfuss mit der Neuerfindung von Schauspieler Michael Hochstrasser durch sich selbst bis Tschechows „Platonow“ am stärksten in Erinnerung blieben. Peter Handke schließlich, in Nürnberg einst voreilig zum Phantom der Poesie zurückgestuft, hatte mit seinem schwierigen Stück „Immer noch Sturm“ 2012, ein Jahr nach der Salzburger Festspiel-Uraufführung, ein triumphales Comeback. Die Inszenierung von Stefan Otteni, wie schon bei seiner ähnlich geglückten Schnitzler-Produktion „Professor Bernhardi“ von 2006 gestützt auf ein makelloses Nürnberger Ensemble hier mit Thomas Nunner an der Spitze, war die vielleicht allerbeste Aufführung der Kusenberg-Direktion.
Nicht immer, aber erfreulich oft gelang der unverzichtbare Schlenker zum geistreichen Entertainment, vorbeigelenkt an der schon sprachlich so bedrohlichen Kategorie „Zeitvertreib“: Der Hitchcock-Ableger „Die 39 Stufen“ fällt einem da sofort ein (und dessen Regisseurin Petra Luisa Meyer, die von 2000 bis 2017, also von „Vagina-Monologe“ mit Adeline Schebesch bis „Schönheit“ mit Nicola Lembach, dieses heikle Genre ständig belebte), das selbstironische Senioren-Songfest „Ewig jung“ und natürlich die johlend begrüßte Party, die Kusenberg himself mit der tischfeuerwerksexplosiven „Rocky Horror Show“ anzettelte. Dass dazwischen Christoph Mehler, der konsequenteste Dekonstruktivist im Regie-Tableau, mit einem Dutzend streitbarer, auch umstrittener Produktionen von „Richard III.“ (Julia Bartolome im Gender-Extrem) über „Woyzeck“ (Stefan Lorch im Zwangs-Kreislauf) und „Hedda Gabler“ bis „1984“ und am Ende „Biedermann und die Brandstifter“ die Möglichkeiten seines eigenwilligen Stils testen konnte, spricht für die ästhetische Offenheit des Hauses – und die Geduld des Publikums.
Die Stadtgeschichte als aufgegriffenes Markenzeichen fällt im Rückblick besonders auf. Schon 2002 gab es da die allseits goutierte Bühnenfassung von „Das Urteil von Nürnberg“, dem Kino-Realismus der Hollywood-Vorlage treu ergeben. In den Umbaujahren von 2008 bis 2010 mit der zeitweiligen Hauptspielstätte Kongresshalle mitten in der Nazi-Ruine, verdichtete sich das zur Programmatik. In vielsagender Außenkulisse begegnete man also „Arturo Ui“ (Bert Brecht), „Des Teufels General“ (Carl Zuckmayr), „Enigma Emmy Göring“ (Werner Fritsch), „Speer“ (Esther Vilar) und erlebte leider mit der völlig missglückten Auftragsdramatisierung der Erlenstegener Nachkriegsromandoku „Das Zeugenhaus“ durch Dramatiker Franzobel unterm Titel „Die große Kiste“ den ärgsten Flop. Ausgeglichen durch eine überwältigende Deutung von Peter Weiss‘ Auschwitz-Protokoll-Elegie „Die Ermittlung“, mit der Kathrin Mädler (jetzt Intendantin in Memmingen) ein Schauspieler-Team aus verbleichenden Gespenstern der Vergangenheit zu mahnenden Lotsen der Gegenwart machte, die den Zuschauern einen Weg durchs bröckelnde Protzgewölbe zurück zum Ausgangspunkt auf Sichtweite zum Dokuzentrum wies. Eine denkwürdig gebliebene Aufführung.
Zwar geriet der Gedanke, am offenen Herzen der Stadt zu operieren, also über den „Club“ und mit ihm am Valznerweiher in einer flankenden Kicker-Revue Nürnberger Körper, Geist und Seele ultimativ zu verbinden, während der Bundesliga-Krisenjahre in die Abseitsfalle, das Wunschprojekt kam nie über Vorgespräche hinaus. Aber Albert Ostermaiers dramatisierte Erinnerung an den FCN-Trainer und Schöngeist Jenö Konrad, schon 1932 durch das Nazi-Hetzblatt „Stürmer“ vertrieben und 80 Jahre später von den „Ultras“ aus der Stadion-Fankurve geehrt, war ein Trost. „Linke Läufer – Erster sein“ hieß das Stück, und wer hätte mehr Respekt generieren können als ein geflüchteter Fußball-Lehrer, der den Club trotz allem auf offener Bühne pathetisch als „Schiller unter den Vereinen“ rühmt.
Beim Blick auf die komplette Amtszeit drängt sich die Dreiteilung „vor“ und „nach“ der Generalsanierung des Schauspielhaus-Areals mit den exakt mittig trennenden beiden Zwischenlösungsjahren in den Ausweichquartieren Kongresshalle und Tafelhalle, geradezu auf. Auch deshalb, weil manche Anstöße der Vorrunde ihre ganze Bedeutung erst im Neubau zeigten. Beispielsweise hatte Kusenberg die von mehreren Vorgängern erhobene, nie über Foyer-Testphasen hinaus gefestigte Forderung einer Studiobühne als Raum fürs Dritte Programm, sofort in den skeptisch beäugten Modell-Modus umgesetzt. Das blaue Arena-Zelt, ein Wurmfortsatz am Theaterportal, war intellektuelle und orthopädische Herausforderung für das auf Bänken kauernde Publikum, andererseits die besondere Erfahrung von Nähe, die viele Zuschauer – auch dank so raumbezogen geglückter Produktionen wie Caryl Churchills „Die Kopien“ mit Marco Steeger und Heimo Essl – bald schätzen lernten. Dehnbare Blaupause für die integrierte BlueBox im Obergeschoss des neuen Hauses, wo der variable Spielraum seither den Umgang mit Experimenten als Ergänzung und (manchmal) Gegenbild zum breiten Strom der mehr nach Abonnenten-DIN abgesicherten Vorstellungen in Schauspielhaus und Kammerspielen beflügelt. Gar keine Frage, ohne dieses Labor wäre die umfangreiche Liste von Ur- und Erstaufführungen, die Annäherung ans Gleichgewicht von gesicherten Größen und gesetzten Entdeckungen, undenkbar. Das seit wenigen Jahren wie ein Suchscheinwerfer durch wechselnde Regionen Osteuropas schwenkende Autoren-Festival „Talking about Borders“, immer mit der wichtigen Chance auf szenische Umsetzung verbunden, konnte wohl nur durch dieses Treibhaus den nötigen Effekt haben.
„Am Ziel“ von Thomas Bernhard hatte Klaus Kusenberg 2012 in den Kammerspielen inszeniert, da war es eine Verbeugung samt zelebriertem Premieren-Kniefall vor der großen Schauspielerin Jutta Richter-Haaser, die damit ihren Abschied vor Ort gab. Am Ziel ist der Regisseur und Schauspieldirektor auch im Herbst 2018 allenfalls in Nürnberg, denn er macht doppelspurig in Regie und Management weiter – und hätte der polternde Poet Bernhard in Österreich für seine „Macht der Gewohnheit“ die Bayern-Landkarte nur ein wenig weiter nördlich angetippt, wäre dieser um Worte ringende Versuch einer Bilanz vielleicht eine runde Sache: MORGEN REGENSBURG! Oder soll es auflagenstärker sein? Wäre da doch noch der ganz andere Poet aus Österreich, der mit der stützenden Autorität der Hitparade, und sein schmückendes Wort für Wechsel-Jahre: „Mit 66 Jahren…ist noch lange nicht Schluss“.
Die letzten Inszenierungen von Klaus Kusenberg im Spielplan des Staatstheaters sind:
Alistair Beatons „Abgefrackt“ (am 7., 19., 25., 28. Juni und 2. Juli) sowie Joel Pommerats „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“
(noch am 15., 23., 29. Juni sowie 8. und 17. Juli) und das Abschieds-Spektakel „Glück gehabt“ mit dem kompletten Ensemble und Überraschungsgästen aus 18 Spielzeiten (20./21. Juli).
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