Theobald O.J. Fuchs: Der große Prediktor
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Damals, als ich mich nach dem Abitur für ein Studium der Prophezeiung und Vorhersagetechnik einschrieb, erhob meine Mutter den warnenden Zeigefinger. »Weit wirst du damit nicht kommen!«, orakelte sie. Anfangs sah es jedoch so aus, als ob sie sich getäuscht hätte. Ich kam mit meinen Studien schnell voran und sagte meine Abschlussnote auf 5% genau vorher.
Berauscht vom Erfolg, rechnete ich mir gute Chancen aus, mich als freischaffender Prophet selbstständig zu machen. Da ich erkannte, dass eine hellsichtige Frau an meiner Seite hilfreich sein würde, bat ich eine ganze Reihe von Kommilitoninnen um ein Rendezvous. Doch leider absolut vergebens. »Mit dir?«, antwortete eine nach der anderen. »Völlig aussichtslos!«
Drängte ich nach, ob wir‘s nicht wenigstens einmal zum Abendessen versuchen sollten, erntete ich nur höhnisches Gelächter. »Du weißt doch genau, wie das enden wird. Oder hast du das Kaffeesatz-Seminar komplett verschlafen?«
Beruflich hingegen gelang mir der Start. Ich sagte die Mondphasen, das Schwanken des Ölpreises in alle Richtungen und das Ausbleiben von Erdbeben in Grönland exakt voraus. Meine Kundenkartei wuchs an, zum ersten Mal wurde mir auch Geld für meine Dienste angeboten. Immer häufiger lag ich richtig, zum Beispiel, wenn mich alte Damen fragten, wann denn nun endlich der 36er-Bus kommen würde, dessen Fahrplan ich auswendig kannte.
Ich wagte mich an größere Themen, sagte das weltweite Ende der Atomkraft voraus – unter der Bedingung, dass elektrischer Strom außer Mode geriete –, verkündete im gleichen Schwung das Aus für Glühbirne, Brit Pop, Günther Jauch, das Internet sowie die Dampflokomotive und entwarf die ersten Bergbaustädte auf dem Mond. So wurde ich der berühmteste Super-Predictor meiner Zeit.
Und ich heiratete: Eine Agnostikerin reinsten Wassers. Sage ich: »Guten Morgen, Schatz«, antwortet sie: »Das wollen wir erst einmal sehen.« Verabschiede ich mich: »Bis heute Abend!«, vermeldet sie: »Warten wir‘s ab!«
Wir waren glücklich, unsere Zukunft erschien mir wie rosarote Wölkchen auf durchsichtigem Frühlingshimmel, gelegentlich schwacher Wind aus West-Nordwest, Gewitterwahrscheinlichkeit weniger als 8%.
Mir gelangen spektakuläre Erfolge. So sagte ich präzise vorher, dass Martin Schulz die Bundestagswahlen nicht extrem hoch gewinnen würde und dass sich Donald Trump als Präsident ebenso würdelos wie im Fernsehen verhalten würde.
Doch ausgerechnet jene Vorhersage, die mein Meisterstück werden sollte, beendete in Wirklichkeit meine ganze Karriere: Ich las die Bibel, den Talmud und den Koran, ich studierte den Nostradamus und den IKEA-Katalog und sagte anschließend einen Weltuntergang vorher.
Die Menschen glaubten mir und unternahmen alles, um den Weltuntergang zu verhindern. Mit dem Ergebnis, dass die Apokalypse ausfiel ohne Nachholtermin und die Leute auf ihren Tickets sitzen blieben. Das ruinierte mein Geschäft. Meine Mutter sah, lachte und sprach: »Das hätte ich dir gleich sagen können!«
Ich stellte den Prophetenstab in die Ecke und wurde Busfahrer. Und erlangte so die volle Kontrolle über meine Zukunft zurück. Im Fünfminutentakt sogar. Meine Kinder, das schwor ich mir, würden einmal einen anständigen Beruf erlernen. Irgendwas mit Berufsrisikoversicherungen.
Doch am Ende bekam meine Mutter doch noch Recht. Mein Erfolg holte mich ein. Ein unangenehmer Effekt entfaltete seine Wirkung:
Die Menschen glaubten meinen Warnungen und unternahmen rechtzeitig etwas dagegen. Waldsterben, Ozonloch, Atomraketen. Je präziser meine Vorhersagen wurden, desto weniger trafen sie zu, so dass meine Trefferquote praktisch über Nacht in sich zusammenstürzte.
Nur in der Politik bewirken meine Vorhersagen nichts: Trump wurde Präsident und eine große Koalition übernahm erneut das Land, obwohl ich beides vorhergesagt hatte. Vielleicht aber ist das alles auch kein Zufall.
Zwar waren meine Vorhersagen nicht immer rechtzeitig, dafür aber um so zutreffender.
[Fotos: Katharina Winter, immer im Bilde Theo Fuchs]
UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO?
Naja, immer nicht so viel. Ein bisschen Forschung und so, hier und da mal irgendwas lehren. Wissen wir nicht so genau, ist auch egal.
Ansonsten mache er wohl nichts, als sich im Ruhm zu wälzen und sich bewundern zu lassen, denn seine Sucht ist die nach Aufmerksamkeit, von der er nie genug bekommt.
Im Juni jedoch ist Theo auf Reisen, in die Welt des Äußeren wie des Inneren. Zudem orakelte er intensive Arbeit am seinem nächsten Buch.
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