Dem Egers sei Welt #65: Fahrradtour II
#Comedy, #Egersdörfer, #Fahrrad, #Kabarett, #Kolumne
Nach der Einnahme des saboriden Abendessens, bei dem leere Biergläser oft und schnell wie durch kurzes Aufsagen einer Beschwörung den Platz mit gefüllten Biergläsern tauschten, benötigten wir zusätzliche Schrittfolgen, um das Gasthaus auf dem Weg wieder zu verlassen, auf dem wir es betreten hatten. Breitbeinig liefen wir Pedal-Ritter durch die Oase, in die uns die Fahrt entlang des schweigsamen Flusses geführt hatte. Sachte brannten die Stellen des Hinterns noch ein wenig nach.
In genießerischer Dankbarkeit, dass jetzt das Reiben des empfindlichen Körperteils auf dem Fahrradsattel für ein paar Stunden unterbrochen wurde, wandelten wir wie Engel. Leise genossen wir die Auswirkungen des Alkohols, der den Getränken beigemengt worden war. Freilich hätten wir singen oder in Ermangelung eines Liedes auch laut und retardierend etwas rufen können, was aus dem Grund des trunkenen Bewusstseins heraufgesprudelt wurde. Stattdessen beschauten wir stumm die Abendsonne, die die Stadtarchitektur gütig liebkoste, und dankten der Wirkung des Rausches, der um die bescheidene Ansicht einen goldverzierten Rahmen der Anmut befestigte.
In einem langsamen, immer wieder kurz stockenden Tanz rollten wir wie Kugeln von kindlichen Göttern im Spaß durch die Straßen geblasen und landeten auf einer Wiese stadtauswärts, in deren Mitte sich die Skulptur einer überdimensionierten rostigen Karotte erhob. Die Phantasie eines berauschten Kleingärtners hatte sich hier hemdsärmelig Bahn gebrochen und hungrig Metall verschlungen. Wir umrundeten die Skulptur, die zu dem Städtchen so gut passte wie rote High Heels zu einer Konfirmandin mit Schluckauf. Entstehungstheorien drängten sich uns auf. Vielleicht war das die in Stahl gegossene Rache eines Bürgers an der Stadt, die ihn so oft im Leben geschmäht und beleidigt hatte. Oder der Künstler war mit der Base eines Stadtratsmitglieds auf der Kunstmesse in Basel auf der Toilette intim und dabei erwischt worden. Der Künstler hatte beim Backgammon-Spiel verloren und auf Grund einer finanziellen Unpässlichkeit eingewilligt, ein Kunstobjekt zu verfertigen. Irgendetwas hatte er sich ohne Zweifel zu schulden kommen lassen. Welche Sache auch immer, es wurde ruchbar und ihm wurde daraufhin die Aufstellung des Dingens abverlangt.
Die schiere Größe des Konstrukts, wohl aber auch die frische Luft des Abends, ernüchterten uns. Unsere beschuhten Füße spürten allmählich wieder den Erdboden, und beide waren wir festen Willens, das gewonnene Bewusstsein zu verspielen und für den Gewinn einer erneuten Benebelung einzutauschen. Nicht einmal die fadenscheinige, an einen Freizeitpark der Infantilität erinnernde Verschleimtheit eines sogenannten Erlebnisgastronomieklimbim einer fragwürdigen Brauerei war im Stande, unsere Absicht zur Disposition zu stellen. Direkt in den Hades sind wir erhobenen Hauptes hineingeschritten. Wie die größten Ritter der Welt schritten wir, wo wir auch über eine gezwirbelte Gleitbahn in den sogenannten Gastrobereich des Etablissements hätten rutschen können, und orderten beim Kellner in Phantasieuniform, noch bevor wir uns auf den Stühlen niederließen. Es roch überall nach Drachenurin. Der Freund räusperte und schnäuzte gegen eine Beschallung aus musikalischem Kleister. Unser Gesprächsfeuer ließen wir hochbrennen und warfen wirrste und grobste Gedankenscheite in die Glut der Unterhaltung, allein, um den Blödklang mutwillig zu überplappern und unsere Ohren zu schonen. Wir hatten noch zwei Schlucke von der einen Sorte im Glas und riefen schon in launiger Lust nach dem nächsten Trunk. Mit einem umfassenden Gesamteindruck der Produktpalette verließen wir, die Luft nicht nur atmend sondern schon schnappend, mit eigentümlicher Verschleppung der Silben und einer Unregelmäßigkeit im Sprachrhythmus, die Lokalität neben der Gemüseskulptur. Die Stadt und ihre Straßen hatten sich gewandelt. Ecken rundeten sich, und der Stein der Gebäude erschien uns gebläht und mollig. Die kürzeste Strecke war es bestimmt nicht, die unsere eigenwilligen Füße uns führten, und wie vom Zufall beschenkt, fielen wir wie zwei rotbackige Birnen in die Betten unserer Bleibe. Der Schlaf fiel wie eine Hausfassade auf mich.
Im Frühstückszimmer brummten wir uns zur Begrüßung mit gesenktem Blick an und schluckten die Wörter mit Brot, Käse und Kaffee hinunter. Bei der anschließenden Zahnreinigung wanderte mein Blick durch die Kemenate nach Dingen und Klamotten, die in die Fahrradtasche verstaut werden sollen. Dann rollten unsere Räder aus der Stadt. Mit trockenem Mund fuhr ich dem Freund, oder treffender, dessen Rücken und Hintern hinterdrein und sah seine Füße treten. Bald nah, bald fern und nur noch erahnbar. Entlang endloser Felder fuhren wir. Ein einsamer Vogel pfiff ein kleines Lied im Vorbeiflug. Die Sonne schaute uns gleichgültig zu. Die Wolken fuhren sacht am Himmel hintereinander her und stupsten sich auf der blauen Bahn. Durch menschenleere Dörfer kamen wir. Die Bewohner hatten die Vorhänge zugezogen und lagen auf dem gefliesten Küchenboden. Hunde mochten nicht bellen. Kinder saßen in bemalten Kleiderschränken und spielten stumm mit ihren Fingern. Telefone und Fernseher verstaubten. Das Haltbarkeitsdatum des Himbeerjoghurts im Kühlschrank war schon seit drei Wochen abgelaufen. Wir radelten durch Wälder, wo hohe Bleistifte wuchsen und träumendes Gras. Ein unbesuchter Käfer wanderte am Wegrand. In zwei Wochen wollte er Hochzeit feiern.
Ein protestantischer Cappuccino war nur durch den Zusatz größerer Mengen Zucker trinkbar. Luther hatte das Neue Testament in Festungshaft geschrieben, sprach der Stadtführer. Vielleicht plagte ihn die Langeweile. Die „Judensau“ hat er in Wittenberg ans Kircheneck hingesprochen, der Gottesmann mit der unvorteilhaften Frisur. In einem Saal war hier vor hunderten von Jahren das Stroh ausgestellt, auf dem der frisch geborene Heiland lag, und ein Fläschchen mit Milch aus der Brust Mariens. Wer Eintritt zahlte und das Wunder besah, bekam ein paar Jahre Höllenpein erlassen. Quälend hübsche junge Sommerfrauen flirrten leicht bekleidet. Straßentheater in der aufgeheizten Fußgängerzone am frühen Abend. Ein als Mönch verkleideter Schauspieler sprach im Vorbeigehen aufdringlich seinen Text. Ich sah das Manuskript mit den leuchtend gelb markierten Passagen auf seinem Schreibtisch liegen. Mein Freund räusperte sich in einem Lokal in Wittenberg so laut, dass daraufhin unser Tischnachbar den Platz wechselte.
Unser Geist wehte noch körperlos im nächtlichen Flusstal. Wir schliefen dumm und matt. Wir erwachten, frühstückten und fuhren weiter. Dann machte die Sonne Feierabend und die Wolken verfinsterten sich, als wäre ein düsterer Lappen versehentlich in die Weißwäsche geraten. Ein Blitz zuckte und ich zweifelte ihn noch an wie eine Ermahnung der Großmutter, man soll nicht Wasser trinken, wenn man vorher Kirschen gegessen hat. Dicke, einzeln geworfene Tropfen fielen und zauberten runde Löcher wie im Trickfim auf den Sandweg. Immer mehr Wasserblasen stürzten zugleich aus dem Dunkel des Himmels, als wären die Wollen entzweigebrochen.
UND WAS MACHT EGERS SONST SO IM MAI?
1. Juni / PZ Kulturraum, Lauf a.d.P.: Egersdörfer und Fast zu Fürth
2. Juni / Rundfunkmuseum, Fürth: Egersdörfer und Fast zu Fürth
8. Juni / Badstraße 8, Fürth: Theater Woblist
9. Juni / Import Export, München: Theater Woblist
Noch mehr Termine – außerhalb der Region – unter www.egers.de.
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