Theobald O.J. Fuchs: Wettrennen in die Vergangenheit

MONTAG, 2. APRIL 2018

#Autor, #Comedy, #Kolumne, #Krimi, #Theobald O.J. Fuchs

Vielleicht sollte ich zuallererst erwähnen, dass ich nicht alleine bin, hier, in der Vergangenheit. Gagarin, der russische Temponaut, sitzt neben mir, im Nürnberg des Jahres 1493, und wir betrinken uns jeden Abend einträchtig schweigend im Bierkeller »Zum einäugigen Ostgoten«.

Das große Wettrennen um die erste Zeitreisemaschine brach irgend-wann gegen Ende von Trumps fünfter Amtszeit aus. Putin hatte behauptet, dass Russland noch viel tiefer in der Vergangenheit feststecke als die USA. Das ließ Trump nicht auf sich sitzen und verkündete, dass die USA bis zum Anfang der Sommerferien in der Lage seien, einen Menschen um 500 Jahre in die Vergangenheit zu schicken. Die Russen zogen mit und voilà!, da ging´s auch schon los, das große Zeitreisenrennen. Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass das Geld für die gewaltigen Forschungsprogramme letztendlich von amerikanischen und russischen Multimilliardären kam, weshalb meine Jacke mit dem Logo eines großen Limonadenherstellers bedruckt ist.

Igor Igorowitsch Gagarin startete nur zwei Tage nach mir und nur ein paar Kilometer entfernt, im Reichswald auf einem Autobahnparkplatz an der A3. Man reist ja in der Zeit und nicht im Raum, weshalb ich an exakt der selben Stelle landete, von der ich aufgebrochen war. Meine Zeitkapsel »Clockwork Eagle« traf das anvisierte Jahr nicht so ganz, doch um so besser: Dürer war erst zwölf Jahre alt, als ich eintraf, was mir meinen Job sehr vereinfachen wird. Denn meine Aufgabe ist es, so viele bedeutende Kunstwerke wie möglich dem unbekannten Albrecht D. abzukaufen und auf einem Dachboden zu verstecken, den es in meiner vorherigen, also zukünftigen Zeit noch geben wird.

Fraglich ist, ob ich mich überhaupt irgendwann aufraffen kann, an die Arbeit zu gehen. Ich muss hier Tag und Nacht diesen seltsamen Tank mit mir herumtragen, der meine Eigenzeit enthält, hoch verdichtet und unter Druck. Er sollte keinem direkten Sonnenlicht ausgesetzt werden und nicht gewaltsam geöffnet werden, so steht´s in der Bedienungsanleitung. Und langsam wird mir die zukünftige Zeit knapp. Zwar gibt´s eine Art Rückgewinnung verbrauchter Zeit, aber nicht vollständig. Der Zeiger steht schon auf der roten Markierung. Auch Igor hat so einen Tank dabei, der aber erst lange nach meinem leer sein wird. Was passiert, wenn die alte Zeit aufgebraucht ist, steht auch in seinem Handbuch nicht. Wahrscheinlich werden wir dann einfach so leben, wie die Leute hier. Schön im Renaissance-Stil, mit Schlapphut, Strumpfhosen und Biberfellkragen.

Am Anfang war ich Tag und Nacht auf der Hut, ob ich nicht irgendwo auf die Russen treffen würde. Ich meine, die NASA-Typen werden ja 1969 auch ein paar Knarren im Gepäck gehabt haben, als sie zum Mond gejettet sind. Nur für alle Fälle, falls die Commies vor ihnen im Meer der Stille gelandet wären. Dabei ging´s damals nicht einmal um Geld, sondern bloß um die Ehre! Aber es kam alles anders: Meine zwei Kumpels tauchten hier gar nicht erst auf – weiß der Kuckuck, ob sie bei den alten Ägyptern oder in den Pranken eines Dinosauriers gelandet waren – und der einzige Russe, der es auch in die Renaissance schaffte, begegnete mir erst drei Jahre später. Unvermittelt stand er beim Pegnitzflusskrebseinkauf neben mir, gleich beim schönen Brunnen auf dem Hauptmarkt, in einem GAZPROM-Anorak.

Mein Hauptproblem war von Anfang an, dass kein Mensch meine Sprache versteht. Irgendwie haben sich die Eierköpfe, die uns vorbereiteten, getäuscht, denn es wird ums Jahr 1500 ein ganz anderes Latein gesprochen, als jenes, das ich während der Vorbereitung auf die Mission im Schnellkurs gelernt habe. Zumindest hier in Franken.

Dass nicht alles rund laufen würde, ahnte ich schon, als ich aus dem Zeitfallrohr plumpste. Den Geschichtswissenschaftlern, die unseren Startort festgelegt hatten, war ein Fehler passiert. Ich landete nämlich mitten in einem von Dornen überwucherten Sumpfgelände, wo einige hundert Jahre später die Ostendstraße durch Mögeldorf verläuft. Und wo ich in den »Pepsi´s Time-O-Wrapper« gestiegen war. Ich brauchte den ganzen Nachmittag, bis ich mich aus dem Gestrüpp herausgekämpft hatte. Zu diesem Zeitpunkt ging mir das ganze Abenteuer bereits gehörig auf die Nerven.

Ich machte mit, weil ich mich in meinem Job als Versicherungsmakler gelangweilt hatte. Und weil sie mir versprachen, dass ich alles, was ich in der Vergangenheit vergraben oder unter doppelten Böden verstecken würde – Münzen, Schmuck etc. – behalten dürfte. Nach meiner Rückkehr, wo selbst das billigste Zeug ein Heidengeld wert ist. Bzw. sein wird.

Mein Zeitreiseapparat besitzt auch so eine Art Rückkehr-Modus, doch der konnte zur Zeit unseres Abfluges nicht getestet werden. Jedenfalls behaupteten die Techniker das. Ich habe mittlerweile den Verdacht, dass es nicht funktioniert. Ausgemacht waren vier Monate, und nun sitze ich schon zehn Jahre hier und warte darauf, dass endlich Amerika entdeckt wird. Für die Menschheit wird das erst einmal eine unbedeutende Randnotiz sein, für mich jedoch ein Riesenschritt zurück.

[Fotos: Katharina Winter, Immer im Bilde: Theo Fuchs]

​UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO? 
Naja, immer nicht so viel. Ein bisschen Forschung und so, hier und da mal irgendwas lehren. Wissen wir nicht so genau. 
Ansonsten mache er wohl nichts, als sich im Ruhm zu wälzen und bewundern zu lassen, denn seine Sucht ist die nach Aufmerksamkeit, von der er nie genug bekommen kann.
Termine: Theo liest aus einem Roman mit dem knappen und bündigen Titel: „Altstädter Friedhof in Erlangen, 14. Mai, 10 Uhr 30, meine 35. Beerdigung, die zahlreichen Nachkommen streiten am Grab um den Fernsehsessel des 73-Jährigen“
13. April: Johannesgemeinde / Büchenbach, 19.30 Uhr
19. April: Transfer / Erlangen, 19 Uhr




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