So ein Theater ...

SONNTAG, 1. APRIL 2018

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Von der fleißigen deutschen Dramatikerin Rebekka Kricheldorf (44), die seit 2003 zwischen Kassel, Jena, Hamburg, Berlin und Freiburg rund 30 Stücke in den Kultur-Kreislauf injizierte, wollten Theatermacherim Großraum Nürnberg bislang noch nie vi el wissen – und jetzt werden innerhalb von fünf Tagen hier gleich zwei ihrer Dramen Premiere haben. 

SOMMERNACHTS-SEX UNTER FREIGEISTERN  ODER RÜCKKEHR ZUR KAMELIENDAME

Das Neuere von 2015 im Gostner Hoftheater, das Andere mit dem unfreiwillig in den Titel geratenen Hollywood-Veteran Robert Redford vom Uraufführungsjahrgang 2010 knapp zuvor am Staatstheater.
Es gibt im April aber auch eine erst 17 Jahre alte und schon fast vergessene Oper von Detlev Glanert in Fürth mit Nürnberger Beteiligung in Neuinszenierung sowie einen Ballett-Dreisprung von Goyo Montero und zwei internationalen Gast-Choreographen am Opernhaus. Dazu eine der schönsten Shakespeare-Komödien als letzten Regie-Gruß von Münsters erfolgreichem Schauspieldirektor Frank Behnke, der einst als „Köpfchen“ im Leitungsteam die Ära Klaus Kusenberg stabilisierte und mit Thomas Bernhards „Alte Meister“ eine der unvergessenen Produktionen dieser Direktion zauberte. Außerdem zwischen Gibitzenhof, Fürth und Erlangen breit gestreutes Wiedersehen mit noch oder wieder zeitgenössischen Autoren wie Bernard-Marie Koltès, Roland Schimmelpfennig und Lutz Hübner nebst Übervater Goethe und Känguru-Dompteur Marc-Uwe Kling.

STAATSTHEATER NÜRNBERG

PREMIERE: Mit dem sehr klassischen Kleist-„Käthchen von Heilbronn“ und der absolut heutigen „Schutzbefohlenen“-Jelinek hat Regisseurin Bettina Bruinier in Nürnberg zwei gegensätzliche „große“ Stoffe erfolgreich umgesetzt. Nun, da sie inzwischen Spartenchefin am Staatstheater Saarbrücken ist, schiebt sie mit Rebekka Kricheldorfs ROBERT REDFORDS HÄNDE SELIG noch das feingliedrig süffisante Kammerspiel nach. Da geht es um ein ausgewandertes deutsches Rentnerehepaar im Safari-Camp von Namibia, das sich die Exotik ganz anders vorgestellt hatte und nun zwischen Fluchtreflex, Panik und der Restträumerei von jenem „Jenseits von Afrika“-Jäger schwankt, der es so in den Titel geschafft hat, bis ein junges Pärchen aus der Heimat dazu kommt. Ein Gefecht der Eitelkeiten im Generationsübersprung beginnt und der „deutsche Blick“ auf das Entwicklungsland schweift verräterisch. Adeline Schebesch und Thomas Nunner contra Bettina Langehein und Stefan Willi Wang. Eine Konstellation wie für Edward Albee oder Yasmina Reza geschaffen, aber (siehe auch Gostner Hoftheater) eben auch typisch Kricheldorf.
Premiere: 7. April. Weitere Vorstellungen 12./14./15./17./25./29. April in den Kammerspielen

PREMIERE: Von Hamlet über Lear bis zum Dramen-Digest der Römischen Trilogie gab es in den letzten Jahren in Nürnberg bei Shakespeare nichts zu lachen. Das war programmatisch so gemeint als Gegengewicht zur zeitweilig dominierenden Spaßmacherei-Auslese im Umgang mit dem britischen Weltgeist. Jetzt wird der Bann zumindest teilweise gebrochen, denn die Melancholie von WIE ES EUCH GEFÄLLT kennt neben vielen herz- und schmerzhaften Anspielungen auch heiter schwebende Untertöne. Politische Verbannung von Andersdenkenden im politischen Regime ist der Ausgangspunkt, aber daraus entstand im Ardenner Wald die Sekte der befreiten Gedanken, eine wohlfeile Utopie jenseits der Verordnungen. Ob das gut gehen kann, wenn jeder entfesselt den eigenen Neigungen nachgeht? Der Dichter ist kein Moralist, er überschüttet die Fantasie mit wunderbaren Formulierungen und fordert die Interpreten zum Spiel auf dem Planquadrat seiner Freigeisterbahn heraus. Regisseur Frank Behnke, zuletzt mit Schirachs „Terror“ und zuvor mit „Lametta“ von Kusz nah am Publikum, übernimmt den anspruchsvollen Klassiker-Ausklang der Kusenberg-Direktion. Als umschwärmte Rosalinde tritt neben zehn anderen Akteuren (Pius Maria Cüppers, Heimo Essl, Michael Hochstrasser, Julian Keck, Jochen Kuhl und Marco Steeger aus dem Stamm-Ensemble sind dabei) die Offensiv-Komödiantin Josephine Köhler ins Zentrum der Aussteiger-Oase.
Premiere: 14. April. Weitere Vorstellungen 15./17./23./25./27. April im Schauspielhaus

PREMIERE: Einem Energiestoß-Triple in Partnerschaft mit zwei international prominenten Choreographen hat Ballettdirektor Goyo Montero den Titel POWERHOUSE gegeben. Es geht in drei Varianten um Dynamik, körpersprachliche Sprengkraft, auch um flippige Bewegung am Rande der Artistik. Da ist das ehemalige „Wunderkind“ Alexander Ekmann (mit 22 Jahren war ihm das Tanzen nicht mehr kreativ genug und er wechselte vom Solisten zum Jungstar-Choreographen beim Königlich Schwedischen Ballett, dem Nederlands Dans und dem Cullberg-Ballet), von dem das Stück TUPLET mit elektronischer Musik  aufgeladen wird. Absolut schwerkraftzersetzend wirkt auch DISAPPEARING ACT des israelischen Tanzmeisters Hofesh Shetcher und der Hausherr selbst steuert die Deutschland-Premiere seiner erst vor wenigen Monaten in London uraufgeführten aktuellsten Produktion IMPONDERABLE bei, bei der Montero für Interpretationsversuche durch übereifrige Fans ausdrücklich auf die deutsche Übersetzung „unwägbar“ hinweist.
Premiere: 21. April. Weitere Vorstellungen 24./27. April, dann wieder ab 10. Mai im Opernhaus

COMEBACK: Diese Verdi-Oper gehört ohnehin zu den dauerhaft beliebtesten Stücken, und hat auch in Nürnberg schon mehrere großartige Inszenierungen erlebt. Trotzdem ist Peter Konwitschnys LA TRAVIATA – wie sie in Graz entstand und seither von einigen Theatern übernommen wurde – auch hier ein besonderer Glücksfall. Der Ausnahme-Regisseur, der Nürnberg von „Orpheus und Eurydike“ bis „Attila“ in 30 Jahren viele bemerkenswerte Duplikate überließ, aber eben auch Originale wie „Boris Godunow“ und „Soldaten“ lieferte, hat die melodiensatte Herz/Schmerz-Story der „Kameliendame“ mit leichter Hand aus der Kitsch-Falle gelenkt. In Graz war die aus Nürnberger Anfängen zum Weltstar aufgestiegene Marlis Petersen seine Violetta, bereits bei der Ortspremiere im Januar 2012 wurde Hrachuhí Bassénz für ihre reizvoll dunkel timbrierte Koloraturkunst als Alternative gefeiert. Am Ende der Wiederaufnahmeserie sechs Jahre später (der junge Tenor Alex Kim ist ihr neuer Alfredo) zieht sie nach zehn Nürnberger Ensemble-Jahren weiter. GMD Marcus Bosch zeigt nach Wagner, Berlioz, Mozart und Zimmermann nochmal, dass er am Pult in fast allen Farben souverän ist.
Termine: 7./15./22./26. April im Opernhaus

PREMIERENFRISCH: Am Ende wird das Publikum für eine erweiterte Viertelstunde zum Teilhaber der Aufführung, wenn sich Bernd-Alois Zimmermanns Avantgarde-Oper DIE SOLDATEN in Peter Konwitschnys Nürnberger Inszenierung im Finale öffnet. Da muss man den Klappsessel verlassen und auf der Bühne spazieren. Früher galt das Werk wegen seiner hohen Anforderungen als „unaufführbar“, in München, Salzburg und bei der Ruhr-Triennale wurde es zuletzt mit Mobilisierung aller Kräfte gestemmt. Das macht das verstärkte Nürnberger Ensemble auf eigene Weise auch, und gleichzeitig versuchen der Regisseur Konwitschny und Dirigent Marcus Bosch, die sich beide erstmals dieser Herausforderung stellten, den Ausnahmezustand aufzulösen. Am Opernhaus, wo der Erstversuch von Hans Gierster/Hans-Peter Lehmann 1974 ein gewaltiges Wagnis war, ist jetzt beinahe so etwas wie entspannter Umgang mit modernem Musiktheater zu erleben. Freilich nur noch in drei Vorstellungen – dann dürfte es wieder für ein halbes Jahrhundert vorbei sein mit diesem unvergleichlichen Werk.
Letzte Vorstellungen: 8./14./23. April im Opernhaus

SPIELPLAN-SCHWERPUNKTE: Mal wieder eine Aufführung zum Streiten. Wolfgang Borcherts düsteres Kriegsheimkehrer-Drama DRAUSSEN VOR DER TÜR, in der mit Komik und Blut aufgemotzten Inszenierung von Sascha Hawemann durch grelle Spotlights und unerwartete Spalier-Späßchen geschoben, übermalt den Zeitgeist der Entstehungsjahre mit lockeren Anmerkungen zum Wirtschaftswunder danach. Anti-Held Beckmann, der durch die Ruinen irrt, tritt gleich dreifach auf. Ein besonders mutiger Kritiker bescheinigte der zwischen Psychoschock, Elegie und Knatter-Satire taumelnden Produktion sogar das Format fürs Berliner Theatertreffen 2019, nachdem 2018 schon alle Plätze vergeben waren. ++ Auch ein Sprachfehler kann so was wie Kunst sein: Der Karnevalsschwank PENSION SCHÖLLER in Bernadette Sonnenbichlers munterer Nürnberger Fassung gibt dem Wahnwitz lange Leine, wenn ausgerechnet der Zungenstolperer nach „knassischer“ Rezitation strebt und der Spießer an der eigenen Präpotenz scheitert. ++ Einen Reigen von Szenenminiaturen unterschiedlichster Art, mal Poesie-Konzentrat und mal Sketch-Attacke, lässt Autor Joel Pommerat in DIE WIEDERVEREINIGUNG DER BEIDEN KOREAS kreisen. Klaus Kusenbergs letzte Nürnberger Inszenierung, Hommage ans eigene Ensemble und auch an die Unsterblichkeit des Well-made-Play handwerklich gekonnter Dialog-Machwerke, zündet das kleine Feuerwerk der Komödianten.
++ Das Hörspieltheater von Eike Hannemann, das mit „Winnetou“ seinen Höhepunkt erreichte, hinterlässt als letzte Spur mit NEKROPOLIS einen erheitert schockierten Blick ins Gruselkino. ++ Völlig unkaputtbar, was der Geheimrat dereinst als schwärmerischen Briefwechsel mit Todesfolge hinterließ. Ob Oper (Massenet) oder DDR-Adaption (Plenzdorf), ob ein Multimedia-Solo von TV-Star Philipp Hochmair (Gostner) oder Mario Neumanns Poesie-Bannkraft (Erlangen), beim „jungen Werther“ bleibt immer noch etwas für die nächste Deutung übrig. In LIEBE.LEIDEN.WERTHER zeigt das auch Janco Lamprecht in der BlueBox. ++ Russische Großliteratur als überschaubarer Theaterversuch: AUFERSTEHUNG nach Leo Tolstoi in der BlueBox. ++ Und Dialog-Kunst in Bestform: Lot Vekemans lauernde Paartherapie GIFT. EINE EHEGESCHICHTE mit Adeline Schebesch und Michael Hochstrasser als Geschiedene, die nach zehn Jahren Trennung ihren Konflikt wiederbeleben, ist sehenswert.
Termine: „Draußen vor der Tür“ (8./28. April, dann wieder 2. Mai im Schauspielhaus); „Pension Schöller“ (7./18./24. April im Schauspielhaus); „Wiedervereinigung der beiden Koreas“ (5./19./21./26. April im Schauspielhaus); „Liebe.Leiden.Werther“ (1./10. April in der BlueBox); „Gift. Eine Ehegeschichte“ (18./28. April in den Kammerspielen); „Auferstehung“ (8./28. April in der BlueBox).

LETZTER AUFRUF: Auf diese Aufführung musste Nürnberg 50 Jahre warten, und jetzt geht Mozarts große Oper IDOMENEO nach zwei Monaten schon wieder in die Schlussrunde. Den Antikenstoff mit der Wucht der Chöre und der Wut der Emotionen hat in der Inszenierung von David Bösch starke Bilder zu beklemmender Musik. Der junge Tenor Ilker Arcayürek nimmt die Herausforderung der Titelrolle trotz vokaler Grenz-werte an, Leah Gordon schmettert zickenkriegerisch eine implodierende Elettra und Dirigent Marcus Bosch lässt die Philharmoniker mit bestens dosierten Knalleffekten durch Dramenkurven sausen. Man sollte es nicht verpassen (nur 17. und 28. April im Opernhaus). ++ Noch einmal rauf auf‘n Berg durch Wind und Eis: In Jörn Klares Uraufführung HÖHENRAUSCH, einem Solo für Julian Keck, wird der irrationale Drang zum Gipfel zur Herausforderung des Schicksals (nur noch 5. und 24. April in der BlueBox). ++ Könnte sein, dass diese 2011 entstandene Neudeutung von Tschaikowskys
allseits geliebtem Märchen-Ballett DER NUSSKNACKER als schwarze Poesie mit Grusel-Upgrade irgendwann wieder im prallen Repertoire von Goyo Montero auftaucht, aber vorerst ist Schluss mit der Rattenplage im Mäusetraum (nur noch 1. und 6. April im Opernhaus).

STAATSTHEATER NÜRNBERG
Richard-Wagner-Platz 2-10, Nbg
staatstheater-nuernberg.de


GOSTNER HOFTHEATER

PREMIERE: Die andere Kricheldorf-Inszenierung der Woche führt ins Intimzonenrandgebiet. Sie betrifft das erst 2015 als Auftragswerk in Göttingen uraufgeführte Stück IN DER FREMDE, in dem mit heftiger Frauenpower „dieser ganze bundesrepublikanische Respekt-Sex“ diskutiert wird, was zu Debattenbeiträgen führt wie „Der deutsche Mann ist erotisch eine Fehlbesetzung“. Die beschworene „Fremde“ ist demnach ein Ort, an dem vielleicht intime Hierarchien neu definiert werden könnten. Oder auch nicht. Die Satirikerin, die wohl vor allem im Gesamtwerk von Rebekka Kricheldorf steckt, öffnet weite Spielfelder für DarstellerInnen, die Lust auf Maskerade und Travestie haben und errötend souverän bleiben, wenn sich der Phallus im Geschlechtsleben der Großstädter aufrichtet. Vier Personen spielen in ständigem Wechsel der Identitäten einen Rundlauf schriller Typen im verbalen Freistil. Gerd Beyer führt Regie.
Premiere: 11. April. Weitere Vorstellungen 12./13./14./18./19./20./21./25./26./27./28. April im Gostner.

GOSTNER HOFTHEATER
Austraße 70, Nürnberg.
gostner.de


HUBERTUSSAAL

GASTSPIEL: Aus dem Personal von Goethes Universal-Klassiker, der ja zweifellos dem Doktor Faust gewidmet ist, hat längst auch Gegenspieler Mephisto sein literarisch-theatrales Eigenleben entwickelt und Gounods Opernfassung lief bei uns lange unter dem Titel „Margarethe“. Das Ostberliner Theater Unterm Dach, das im hohen Studio mit Aussicht beim Prenzlauer Berg experimentiert, betitelt seine aktuelle Zuwendung ans ewige „Gretchen“-Mädchen mit dem erwachsenen Titel GRETE – und „Grete nach Goethe“ ergibt ja auch einen Reim. Es ist ein Stück ohne blonde Zöpfe, ganz der Frage gewidmet, wie die unfreiwillige Gespielin ihre Opferrolle in der Männerwelt abstreifen kann. Anja Gronau und Claudia Wiedemer führen das in einer preisgekrönten Inszenierung mit viel Witz und noch mehr Mitgefühl vor. Nicht nur, aber ganz besonders für junges Publikum.
Termine: 17./18. April im Hubertussaal.

GASTSPIEL: Besuch vom Staatstheater in Gibitzenhof: Elke Wollmann, die mindestens doppelbegabte Schauspielerin, umfasst in ihrem neuen Song-Programm BILLIE, EDITH & MARLENE ein imaginäres Treffen der amerikanischen Jazzlegende Billie Holiday, dem „Spatz von Paris“ Edith Piaf und der deutschen Weltbürgerin Marlene Dietrich. Am Klavier begleitet von Béatrice Kahl ist das die Annäherung an drei Stimmen mit drei Biografien, die so unterschiedlich sind, dass ihre nachträgliche Verbindung wie eine tollkühne Behauptung wirkt.
Termin: 14. April im Hubertussaal.

GASTSPIEL: Grade war er nochmal als geschäftsführender Erzengel in Gottes Namen unterwegs, jetzt zieht sich Sigi Zimmerschied aus dem Vorzimmer des Allerhöchsten in die Behelfsgarderobe des Kleindarstellers zurück. Der Kabarettist, Comedy-Charakterkopf und TV-Dauerläufer stellt sich mit DER KOMPARSE als Roman-Autor vor. Und weil seine Mimik noch nie vom Schreiben und Spielen zu trennen war, wird auch diese Rezitation wieder „Theater“ sein.
Termin: 21. April im Hubertussaal.

HUBERTUSSAAL
Dianastr. 28, Nürnberg
gostner.de


TAFELHALLE

PREMIERE: Der französische Autor Bernard-Marie Koltès war – vor allem als stilbildende Regisseure wie Patrice Chéreau in Paris und Peter Stein in Berlin seine Texte umsetzten – bis über seinen frühen Tod 1989 hinaus etliche Jahre einer der wichtigsten Dramatiker Europas. 1990 kam sein Stück ROBERTO ZUCCO wie ein luxuriöser Nachlass mit den denkbar besten Theatermitteln jener Jahre an der Schaubühne heraus, dabei waren „bürgerliche Obsessionen und deren anarchische Zertrümmerung“ die bevorzugte ungemütliche Stimmungslage, wenn nicht gar ein Credo der schockierenden Dramen mit Titeln wie „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ und „Rückkehr in die Wüste“. In Nürnberg bekam er auf großer Bühne 2012 sein spätes Breitwand-Debüt mit Régis Campos depressionsfördernder Opernfassung von „Quai West“, da hatten längst die freien Gruppen die vernachlässigten Schauspieltexte übernommen. Auch jetzt wagt es der alternative „Theaterprojekt“-Macher Nikolaus Struck mit dem „Zucco“-Drama, das den Amokläufer und Terroristen aus Italien so umkreist, dass im Brutalo auch etwas Lichtgestalt zu stecken scheint. Starkes Stück in jeder Hinsicht. Acht Personen spielen in der Koproduktion mit der Tafelhalle.
Premiere: 12. April. Weitere Vorstellungen 13./14./15. April und 11./12. Mai in der Tafelhalle.

TAFELHALLE
Äußere Sulzbacher Str. 62, Nbg
tafelhalle.de


KÜNSTLERHAUS

PREMIERE: Die Uraufführung der Szenenfolge AUF DER GREIFSWALDER STRASSE, wo Roland Schimmelpfennig im Trüben des wuchernden Berlin-Alltags stochert, indem er Lebensgeschichten und Zeitgeist zum magisch ausweglosen Metropolen-Porträt im Ausschnitt von 24 Stunden verbindet, hatte 2006 noch der große Jürgen Gosch am Deutschen Theater Berlin als delikate Short-Cuts-Girlande inszeniert. Das war damals die denkbar erste Bühnenadresse für einen relativ jungen Autor, den der Regie-Wundertäter bis zu seinem Tod als ständige Bereicherung auswählte. Inzwischen ist  Schimmelpfennig (in Nürnberg mit „Besuch bei dem Vater“ und „Der Goldene Drache“ bekannt) schon 50 und überall präsent, kann also aufs Wiener Burgtheater ebenso zählen wie auf das etwas weniger renommierte Nürnberger Theater4. Das ist ein bekennendes Amateur-Ensemble mit klar umrissenen Ambitionen, Gründungsjahr 1988, Vereinsbasis seit 2005 und dauerhaftem Gastrecht im Künstlerhaus, das diesmal mit 13 Personen die offene Szene betritt, gelenkt vom Regie-Duo Reinhard Weirauch und Franziska Gerhardt.
Premiere: 6. April. Weitere Vorstellungen 7./8./9./10. April im Künstlerhaus.

GASTSPIEL: Ergebnisse einer globalen Recherche-Rundreise zu „Menschen, die Initiativen gegründet haben, um die Welt ein bisschen besser zu machen“, hat das Brachland-Ensemble gebündelt und daraus die Revue REVOLUTION: ALLES WIRD GUT gemacht. Dokumentarisch, poetisch, komisch. Nürnberg war Koproduktionspartner und so bietet das Ensemble, das am Thema dranbleibt, im Anschluss an die letzten beiden Vorstellungen eine „Problemlöse-Börse“ mit dem Angebot, weitere Initiativen abzubilden oder anzustoßen.
Termine: 26./27. April im Künstlerhaus/Festsaal.

KUNSTKULTURQUARTIER
Königstr. 93, Nbg
kunstkulturquartier.de


THEATER ERLANGEN

PREMIERE: Für den problemumwälzenden Komödien-Spezialisten Lutz Hübner und seine Partnerin Sarah Nemitz gibt es am deutschen Theater eigentlich nur zwei Körperteile: Die offenen Arme des Publikums und die kalte Schulter der Kritiker. Seit „Frau Müller muss weg“, dieser bestens funktionierenden Veräppelung der Helikopter-Eltern, hält das Erlanger Theater für diese bodenständige Gegenwartsdramatik, die den Feuilletons oft zu schlicht ist, einen Platz im Spielplan frei. In WILLKOMMEN beschreibt das Autoren-Duo eine Luxus-WG, die mit dem Gedanken spielt, eine Flüchtlingsfamilie ins frei werdende Zimmer einzuquartieren. Es ist ein Spiel mit Klischees, denn die gutsituierten Herrschaften, ob Banker oder Sozialarbeiter, wollen nicht nur verantwortungsvolle „Gutmenschen“ sein, sondern auch die Freiheit haben, jemanden „Kanake“ zu nennen, wenn sie es für angemessen halten. Hübner/Nemitz greifen die gesellschaftliche Debatte darüber, was wir schaffen und wovon wir geschafft werden, wie schon in Frau Müllers Lehrerzimmer auf und empfehlen mit einer wilden Mischung aus Befindlichkeiten deutscher, integrierter und indignierter Figuren ein allseitiges Entspannungsprogramm unter dem pointenprasselnden Beschwichtigungs-Motto „So ist das Leben“. Weltverbesserer sind in dieser Sicht auch nur komische Figuren.
Statt der sozialen Not-Herberge richten die WGler letztlich ein Tischtenniszimmer fürs eigene Wohlbefinden ein. Auch eine Lösung. Filmregisseur Sönke Wortmann hatte bei seiner Theater-Uraufführung in Düsseldorf viele Lacher, in Erlangen inszeniert Katrin Lindner mit sechs Personen.
Premiere: 12. April. Weitere Vorstellungen 19./20. April sowie 13./14. Mai im Markgrafentheater.

PREMIERE: Das ist ja, gleich nach der Hierarchiebestimmung von Henne und Ei, eine der wesentlichen Menschheitsfragen – ob es den Zufall gibt, oder alles Vorsehung ist. Ein Erlanger Theaterprojekt ohne Autorenangabe (Martin Maecker ist für Konzept und Leitung zuständig) thematisiert das ebenso reizvolle wie lästige Rätsel unter dem Motto DER ZUFALL SCHLÄGT ZURÜCK. An einem „Abend voller geplanter Planänderungen“ treten drei „Wissenschaftler“ vors Publikum, um gemeinsam mit den Zuschauern dem Zufall aufzulauern. Ein Glücksspiel vielleicht, oder Schicksalsroulette. In jeder Vorstellung werden die Karten vom Forscherteam neu gemischt, werden Tür und Tor geöffnet für Überraschungen. Plätze für diese Hoppla-Performance bestellt man unter Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst Javascript aktivieren, damit du sie sehen kannst und bezahlt erst am Ende des Spektakels eine Anerkennungssumme nach eigener Wahl. Wenn das bloß nicht einreißt!
Premiere: 29. April. Weitere Vorstellungen: 5./6. Mai in der Garage.

THEATER ERLANGEN
Theaterplatz 2, Erlangen
theater-erlangen.de


STADTTHEATER FÜRTH

PREMIERE: Der vielseitige E-Musiker Detlev Glanert gilt als meistgespielter lebender Komponist, hat ein Dutzend Opern geschrieben (darunter „Das Holzschiff“ nach Hans Henny Jahnn, 2010 in Nürnberg mit überschaubarem Erfolg uraufgeführt) und bleibt jenseits der ihn hoch einschätzenden Fachleute dennoch ein weitgehend unbekanntes Wesen. Dabei ist er stets darauf bedacht, die neuen Töne nicht vom Publikumsgeschmack abzukoppeln. Den größten Erfolg brachte ihm nach 1999, da war er knapp 40 Jahre alt,  die fertige Vertonung von Christian Dietrich Grabbes Lustspiel-Klassiker SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG, der 1827 geschrieben und erst 1907 uraufgeführt wurde. Da kommt der Teufel auf die Erde, weil in der Hölle gerade geputzt wird, und das Chaos kann triumphieren. Kritiker feierten die vor 17 Jahren erstmals aufgeführte Glanert-Vertonung als Vitaminspritze fürs kränkelnde Genre der „komischen Oper“. Das Werk existiert inzwischen im Status der gepflegten Rarität, ist also jenseits von Trends zumindest im Mittelbau der Musiktheater memoriert, und passt gut für das Kooperationsmodell von Musikhochschule Nürnberg und Projekt-Ehrgeiz Stadttheater Fürth. Guido Johannes Rumstadt, der Opernhaus-Kapellmeister und Hochschulprofessor, hat als Regiepartner den musicalbeschwingten Dominik Wilgenbus (er brachte sogar „The Producer“ mit dem „Springtime for Hitler“ von Mel Brooks heraus), den er noch aus Regensburger Zeiten kennt. Großes Ensemble und Orchester bestehen aus Nachwuchshoffnungen.
Premiere 13. April. Weitere Vorstellungen 14./15./19./20./21. April im Fürther Theater.

PREMIERE: Mit den gedruckten Ansichten eines vorlauten Beuteltiers hat Marc-Uwe Kling nach einem frühen Leben im Radiohörspiel und Folgetourneen als Entertainer längst  sichere Stammplätze auf den Buch-Bestsellerlisten erobert. Was das sprunghafte Wesen mit dem Weltverbesserungs-Gen, das einem hilfsbedürftigen Kleinkünstler als Pointenpartner zugelaufen war, an anarchistischer Weisheit tönend, dröhnend und höhnend absondert, ergibt DIE KÄNGURU CHRONIKEN. Lachfutter mit Tiefenschärfe und ätzendem Nachgeschmack. Das Angebot, daraus Theater zu machen, also „Hoch-Kultur“, konnte auf Dauer nicht ungenutzt bleiben. Thomas Stang, der beim Fürther KULT-Ensemble ohnehin immer über den Zaun der Jugendkultur blickt, inszeniert mit Komödianten-Quartett ein musikalisches Kleinkunst-Großformat aus den Erkenntnissen der Buchreihe, wo es mit dem hüpfenden Tier nach „Chroniken“ schon „Manifest“ und „Offenbarung“ gab, während Dani Levy („Alles auf Zucker“) die Vorbereitungen der Verfilmung für 2019 regelt und der am Drehbuch mitwirkende Autor die aktuellen Bestsellerlisten-Platzierungen seines Romans „QualityLand“ beobachtet.
Premiere: 27. April. Weitere Vorstellungen 28./29./30. April und 2. bis 8. Mai im Kulturforum.

GASTSPIEL: Darf man über Woody Allen im Lichte der laufenden Debatte noch lachen? Über diese ernsthaft gestellte Frage sollte man es auf alle Fälle tun! Aus der Zeit, als seine Filme ohne Schatten der Vergangenheit liefen und vielfach den Weg von der Leinwand auf die Bühne fanden, stammt die MITTSOMMERNACHTS-SEXKOMÖDIE. Shakespeares drastische Theater-Erotik kommt über Allens eher lockerer umgesetzte Kinomodernisierung zurück auf die Bretter, wo man nun britischen und New Yorker Humor sortieren kann. So wie ihn der Münchner Boulevard im Bayerischen Hof versteht. TV-Serien-Gesichter treten an zum mehrdeutigen Dialoggefecht.
Termine: 28./29. April im Fürther Theater.

NACHTSCHWÄRMER: Das neue Songprogramm von Jutta Czurda hat voll eingeschlagen. Kein Wunder: In DANCE ME TO THE END OF LOVE versammelt die singende Tänzerin nicht nur eine Auslese von Weltstar-Hits, sie hat auch exzellente Begleitung. Ab 22 Uhr also im obersten, intimsten Foyer des Hauses viel Schwärmerei. Mit einem Herzschrittmacher-Trio, bestehend aus Multimusiker Norbert Nagel (Arrangements, Piano und Klarinette), Andreas Blüml (Gitarren) und Christoph Huber (Schlagzeug) wagt „die Czurda“ den Spagat zwischen Leonard Cohen und Carole King hinweg über allen Denkmalschutz von Evergreens und Traummelodien bis in die Arme von Edith Piaf. Sie traut sich was, wenn sie die Quasi-Klassiker gegen alle Ehrfurchtsvorbehalte enthusiastisch umarmt.
Termine: 20./21. April im Nachtschwärmer-Foyer.

STADTTHEATER FÜRTH
Königstraße 116, Fürth
stadttheater.fuerth.de


FÜR CURT: DIETER STOLL
Theaterkritiker und langjähriger Ressortleiter „Kultur“ bei der AZ.
Als Dieter Stoll nach 35 Jahren als Kulturressortleiter der Abendzeitung und Theater-Kritiker für alle Sparten in den Ruhestand ging, gab es die AZ noch. Seither schreibt er weiterhin, zum Beispiel überregional für Die Deutsche Bühne und ddb-online (Sitz Köln) sowie für nachtkritik.de (Sitz Berlin). Außerdem veröffentlicht er monatlich im Straßenkreuzer seinen Theatertipp. Aber am meisten dürfen wir uns über Dieter Stoll freuen. DANKE!




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