Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Evgenia Rubinova
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„Evgenia Rubinova ist überlebensgross“, schrieb die Washington Post über die preisgekrönte und hochgelobte Pianistin, die sich in der Klassik einen Namen gemacht hat. Seit fünf Jahren lebt sie mit ihrer Familie in Nürnberg. Einen deutschen Pass hat sie längst, denn: „Das ist meine Heimat.“ Am 8. April ist sie Star-Solistin bei den Nürnberger Symphonikern. Ein Gespräch über Wunderkinder, russische Seele und das Versichern von Händen.
ANDREAS RADLMAIER: Frau Rubinova, Sie haben in Frankfurt studiert und immer wieder bei den Eltern in Augsburg gelebt. Was hat Sie denn nach Nürnberg verschlagen?
EVGENIA RUBINOVA: Das hatte private Gründe. Mein Mann lebte schon hier.
A.R.: Und seit wann leben Sie hier?
Ich bin vor fünf Jahren hergezogen. Wir haben dann auch eine Familie gegründet.
A.R.: Ah, Sie haben Kinder.
Ja, mein Sohn ist fünf und meine Tochter eineinhalb.
A.R.: Welches Verhältnis haben Sie denn zu Ihrer Wahlheimat?
Es hat natürlich etwas gedauert, bis man die Stadt richtig fühlt. Heute bin ich gerne hier. Nürnberg ist eine sehr angenehme und schöne Stadt mit besonderer Lebensqualität und Aura.
A.R.: Man sagt den Menschen hier eine gewisse Introvertiertheit nach.
Es dauert immer ein wenig, bis sich Menschen öffnen und einen zulassen. Das ist ein Abenteuer. Ich habe das einige Male erlebt in meinem Leben.
A.R.: Ist das nervig?
Gar nicht. Ich bin sehr neugierig. Ich mag das.
A.R.: Als Künstlerin sind Sie offenbar angekommen. Sie sind auch vor Ort als Solistin gefragt. Mussten Sie da viel Überzeugungsarbeit leisten?
Ich habe ja zum ersten Mal 2003 mit den Symphonikern gespielt, also lange bevor ich nach Nürnberg gezogen bin. Jetzt wohne ich auch hier, damit haben sich die Beziehungen stabilisiert. Unabhängig davon, muss man als Musiker immer überzeugen und andere in den Bann ziehen.
A.R.: Ihre Wanderung durch die Kulturkreise hat Ihre Selbstreflexion gestärkt, schreiben Sie auf Ihrer Homepage. Wie würden Sie die heutige Evgenia Rubinova beschreiben?
Die verschiedenen Kulturen, die ich in mir trage und die mich auch stark geprägt haben, sind ein Schatz und mein Fundament. Moskau, Deutschland, Konzertreisen – das alles weitet den Horizont. Etwas mitzunehmen, zu empfinden und in die Musik zu geben. Mit der Zeit erreicht man dadurch eine eigene Balance.
A.R.: Sie bezeichnen sich als Kosmopolitin.
Die Bezeichnung rührt aus einer bestimmten Zeit, in der ich nicht in eine bestimmte Schublade gesteckt werden wollte: die usbekische Pianistin, die russische Pianistin. In Deutschland haben sich mir ganz neue Welten eröffnet, ein Kaleidoskop von Empfindungen.
A.R.: Welche Fähigkeiten muss ein Pianist haben, um inmitten der vielen, vielen Großbegabungen singulär zu erscheinen?
Das ist ein ganzer Komplex von Dingen. Lebensempfindung gehört dazu, denn es geht ja nicht darum, ein Museumsexponat auszustellen. Musik muss durch uns zum Leben gebracht werden. Da geht jeder seinen eigenen Weg. Und ich glaube, dass es verschiedene Phasen gibt. Das ist ein lebenslanger Prozess, bestenfalls, dass man sich entwickelt.
A.R.: Was ist denn für Sie als Musikerin das wichtigste Körperteil?
Kann ich gar nicht sagen. Da ist so vieles wichtig. Man muss eine Einheit mit dem Flügel fühlen. Die Finger sind ja nur die Bindeglieder zu den Tasten. Der ganze Körper sollte in Schwingung geraten und die eigene Seele sprechen lassen. Dann funktioniert es.
A.R.: Ich frage deshalb, weil Pianisten ja gerne ihre Hände versichern lassen.
Das habe ich nicht gemacht. Ich hab’s überlegt, allerdings auch keine vernünftige Versicherung gefunden. Und ich betreibe ja auch keine gefährlichen Sportarten, mache keine Skiurlaube und bin kein Heimwerker.
A.R.: Sind Sie karrierebewusst?
Ich versuche, meine Arbeit gut zu machen, unabhängig von Erfolg. Karrierebewusstheit klingt zu sehr nach Streben nach oberflächlichem Erfolg.
A.R.: Sie wurden in jungen Jahren als „Wunderkind” bezeichnet. Können Sie mit solchen Kategorien der Bewunderung etwas anfangen?
Nein. Man braucht sicherlich eine gute Veranlagung. Aber das ist erst die Grundlage.
A.R.: Ist Ihnen ein Lob wie „Evgenia Rubinova ist überlebensgroß”, wie die Washington Post mal jubelte, lieber?
Lob freut einen natürlich. Aber man darf sich nicht abhängig davon machen.
A.R.: Jedenfalls waren Sie eine Frühbegabte. Das erste Konzert gaben Sie mit zehn Jahren. Dann sind Sie mit 13 Jahren nach Moskau gegangen, an ein Gymnasium. Allein. Warum das denn? Gab’s in Taschkent diese Möglichkeiten nicht?
Doch, es gab dort auch ein renommiertes Internat für musisch begabte Kinder. Aber Moskau war ein Traum, ein Ziel. Meine Lehrerin Natalia Wasinkina in Taschkent war eine begnadete Pädagogin. Sie hatte einige Jugendpreisträger in ihrer Klasse, deshalb wurde sie nach Moskau in dieses Lyceum eingeladen und durfte ihre drei besten Schüler mitnehmen. Ich war eine der glücklichen.
A.R.: Sie lebten dann in Moskau bei Ihrer Klavierlehrerin. Ihre Eltern, die weiterhin in Taschkent lebten, haben Sie einmal im Jahr gesehen. Waren Sie da als Teenager einer unbeschwerten Jugend beraubt?
Die Zeit war sicher nicht leicht, wenn man bedenkt, dass ich drei Tage unterwegs war mit dem Zug, wenn ich meine Eltern sehen wollte. Auf der anderen Seite will ich diese Zeit überhaupt nicht missen. Ich war glücklich in jeder Phase meines Lebens. Ich habe wahnsinnig viel gelernt, habe meine Jugend sehr genossen. Ich hatte in Moskau viele Freunde und eine gute Schule. Statt fern-zusehen, habe ich eben Klavier gespielt.
A.R.: Ich nehme mal an, es war nicht mit einer Stunde am Tag getan.
Nein, es war meine Passion, Klavier zu spielen, meine Programme zu üben. Aber es war kein Zwang.
A.R.: Haben Sie die Familie vermisst?
Ja, natürlich. Aber ich hatte und habe eine sehr enge Beziehung zu meinen Eltern. Vielleicht hat mich die räumliche Trennung von dem Bedürfnis nach Abgrenzung entlastet.
A.R.: Ist die Musik für Sie heute noch so wichtig wie früher?
Musik gehört für mich wie Atmen zum Leben.
A.R.: Sie stammen auch aus einer musikalischen Familie.
Ja, mein Vater war Geiger im Philharmonischen Orchester in Taschkent, und meine Mutter ist Pianistin.
A.R.: Sie sprechen gerne von der Einsamkeit der Solistin. Speist sich diese Ansicht auch aus diesen langen, harten Jahren des Übens und Trainierens?
Man kann nicht Künstler werden, wenn man Einsamkeit nicht aushält. Das ist eine Tatsache in unserem Beruf. Das hat nichts mit trauriger Stimmung zu tun, sondern mit der geistigen Arbeit an sich selbst. Sich zu erkennen, zu erforschen, zu öffnen. Man kommuniziert mit anderen, mit dem Publikum und mit anderen Künstlern, aber was man macht, macht man letztlich allein.
A.R.: Am 8. April sind Sie in der Meistersingerhalle zu hören, als Star-Gast bei den Nürnberger Symphonikern. Mit einem russischen „Schlachtross”, wie Sie sagen, Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr. 2. Wie würden Sie jemandem, der dieses Stück nicht kennt, dessen Faszination beschreiben?
Für mich ist es kein „Schlachtross”. Das Werk ist ein Juwel der Klavierliteratur, sehr klar gestaltet und hat eine große Bandbreite an Impressionen, die einfach mitnehmen. Ich würde sagen, dass es bis heute eines der schönsten und auch kompositorisch besten Klavierkonzerte überhaupt ist.
A.R.: Rachmaninoff ist angeblich Ihr größter Klavier-Held. Warum?
Ich weiß nicht, ob er mein größter Klavier-Held ist. Aber er war sicher einer der größten Pianisten des 20. Jahrhunderts. Sein Spiel hatte Raffinesse und Klarheit, dabei einen ganz eigenen Puls und Ton.
A.R.: Sie bewundern ihn auch als Komponisten. Können Sie sich vorstellen, selber zu komponieren.
Ich habe als ganz kleines Kind komponiert. Dann habe ich es anderen überlassen. Transkribiert habe ich allerdings und da gibt es noch interessante Aufgaben.
A.R.: Das Repertoire russischer Komponisten ist Ihnen eine Herzensangelegenheit. Gleichwohl stößt man bei Ihnen in den letzten Jahren vor allem auf Beethoven, Brahms, Bach. Färbt die deutsche Heimat da ab?
Die großen „B”s habe ich schon in meiner russischen Zeit viel gespielt. Einen Zugang zu deutscher Kultur hatte ich auch durch meine Großmutter, die Professorin für Linguistik und insbesondere für deutsche Sprache war. Die russische Klavierschule hat außerdem ursprünglich deutsche Wurzeln. Deutschstämmig waren Neuhaus, Richter. Anton Rubinstein und Siloti haben in Deutschland studiert. Umgekehrt gab es slawische Einflüsse in der deutschen Musik, bei Haydn, Beethoven, Brahms usw.
A.R.: Was, würden Sie sagen, ist typisch deutsch?
Solche Fragen kann man nur in Klischees beantworten. Mich interessiert eigentlich das Individuelle mehr als das Typische.
A.R.: Gibt es dann eine russische Seele?
Das ist doch auch ein Klischee. Natürlich gibt es Musik, die zu bestimmten Stimmungen passt, aber das zu verallgemeinern …?
A.R.: Dann gibt’s auch keine „deutsche“ Musik.
Eben. Die Russen haben damals doch in Europa studiert und europäische Kultur nach Russland gebracht. Diese Musik war integriert in die russische Bildung. Diese Verbindung Russland – Deutschland interessiert mich.
A.R.: Ist das der Oma zu verdanken?
Nicht nur. Aber sie hat der deutschen Sprache und Kultur ihre besondere Liebe geschenkt.
A.R.: Warum ist Ihre Familie nach Deutschland gegangen?
Das war ganz normale Immigration. Meinen Eltern ging es darum, wie wir Kinder uns entwickeln können. In Amerika, Israel oder Deutschland. Aber da die europäische Kultur so tief verwurzelt war in unserer Familie, war es klar, nach Deutschland zu gehen.
A.R.: Sie entstammen einer jüdischen Familie. Ist das wichtig?
Schwer zu sagen. Es ist Teil meines Daseins. Aber ich bin nicht religiös.
A.R.: Warum treten Sie eigentlich nicht in Usbekistan oder Russland auf?
Ich habe mich einfach auf andere Länder verlagert und fokussiert. Man muss sich auf gewisse Dinge konzentrieren. Ich hatte auch Anfragen aus Russland und Usbekistan, aber kann nicht alles annehmen. Das kommt vielleicht bald wieder.
A.R.: Hätte ja sein können, dass es Ihnen um ein politisches Statement geht.
Andere Künstler mögen sich in Politik einmischen, ich halte mich da raus.
A.R.: Gibt es so etwas wie Heimweh? Wenn ja: Heimweh – wonach?
Die russische Natur, die Weite, die Sprache und die Farben haben immer für mich eine große Rolle gespielt, die Erinnerungen daran sind mir sehr wertvoll.
A.R.: Sie haben ja den Vergleich: Ist die Ausbildung in Russland härter als in Deutschland?
Das war vielleicht in einer gewissen Zeit so. Diese Strenge ist auch in Russland viel weniger geworden. Natürlich muss es Disziplin geben, in jeder Ausbildung. Aber das Bild vom prügelnden Lehrer ist auch nur wieder ein Klischee. Ich habe es nie erlebt.
A.R.: War Ihre Klavierlehrerin denn streng?
Ich liebe strenge Lehrer. Alle meine Lehrer waren gut streng. Ich hatte aber nie Probleme damit.
A.R.: Sind Sie selber eine strenge Lehrerin?
Das müssten Sie vielleicht meine Studenten fragen.
A.R.: Sie lehren am Leopold-Mozart-Zentrum in Augsburg Klavier. Was gibt Ihnen die Arbeit mit Studenten, mit jungen Talenten?
Sehr viel. Manche haben ein phantastisches Niveau erreicht. Mein Student Evgeny Konnov hat gerade den 1. Preis beim Maria-Canals-Wettbewerb in Barcelona gewonnen.
A.R.: Stellen Sie auch einen Rückgang des Interesses an klassischer Musik fest?
Das Interesse ist vielleicht gar nicht zurückgegangen. Aber es hat sich verlagert, es gibt immer mehr andere Möglichkeiten, wie man seine Zeit noch verbringen könnte.
A.R.: Glauben Sie, dass sich klassische Musik überholt hat?
Vielleicht sind die Präsentationsformen der klassischen Musik für viele Menschen überholt. Ich habe den Eindruck, es gibt etliche Menschen, die sich eigentlich für klassische Musik interessieren, aber nicht zweimal 50 Minuten in formalen Rahmen im Konzert sitzen möchten. Interessant fände ich es, noch mehr unterschiedliche Formate zu schaffen, in unterschiedlichen Orten. Man könnte auch eine Konzertreihe als Begegnungsstätte gestalten, mit der Möglichkeit, sich zu informieren, mit anderen zu diskutieren, in entspannter Atmosphäre … Nur muss die Musik im Zentrum stehen und die Qualität darf nicht leiden. Und Kinder sollten früh mit Musik in Kontakt gebracht werden. Da kann man sicher noch vieles besser machen: für breitere Schichten, intensiver und zugleich kindgerecht.
A.R.: Beschäftigen Sie sich mit Pop, Kino oder Kunst?
Immer wieder, wenn es gut ist. Es muss nicht nur klassische Musik sein.
A.R.: Dafür werden schon Ihre Kinder sorgen. Was lesen Sie denn Ihrem Sohn vor? Deutsches? Russisches?
Wir erziehen unsere Kinder zweisprachig. Wir lesen einfach Märchen.
A.R.: Kennen Sie Grimms Märchen?
Ja klar, die sind sehr populär in Russland. Auch 1001 Nacht.
A.R.: Kann es sein, dass Sie demnächst die Koffer packen, um ihre Horizonte nochmals zu erweitern?
Um eigene Horizonte zu erweitern, muss man nicht unbedingt Koffer packen. Aber den Rhythmus und den Kolorit unterschiedlicher Kulturen kann man tatsächlich viel besser an Ort und Stelle empfinden und erleben. Und auch die Sprache: In der Musik geht vieles mit der Sprache zusammen, wenn man die Melodie der Sprache nicht fühlt, kann man sie nicht klar zum Ausdruck bringen.
EVGENIA RUBINOVA (40),
die in der Nähe des Nürnberger Dutzendteiches mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und ihren Eltern wohnt, ist eine „Kosmopolitin“ mit deutschem Pass. Sie wurde 1977 in Taschkent in eine Musikerfamilie hineingeboren und durchlief als „Wunderkind“ eine Ausbildung russischer Prägung. Sie begann in Moskau mit 13 Jahren ihr Studium, gewann zu dieser Zeit auch die ersten Preise in Klavierwettbewerben und spielte Konzerte zwischen St. Petersburg und Minsk.
Internationale Aufmerksamkeit erreichte sie 2003 beim Internationalen Klavierwettbewerb im englischen Leeds mit der Silbermedaille. Zu dieser Zeit war sie bereits nach Deutschland gezogen, studierte in Frankfurt und lebte in Augsburg. Dort, am Leopold-Mozart-Zentrum, ist sie bis heute Dozentin für Klavier. Sie spielt häufig mit dem bekannten Oboisten Albrecht Mayer und trat als Solistin mit Royal Philharmonic Orchestra London, den Hamburger Symphonikern, dem Wiener Kammerorchester und den Nürnberger Symphonikern (bereits 2003) auf. Bei denen ist sie am 8. April wieder Gast in der Meistersingerhalle, mit Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr. 2.
Am 21. April präsentiert sie im Katharinensaal mit der Flötistin Daniela Koch Beethoven, Mozart, Reinecke und anderes.
FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
ist als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat verantwortlich für das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale – Formate, die curt journalistisch begleitet. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig.
Studium der Altphilologie, Englisch, Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.
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