Bernd Alois Zimmermann: Die Soldaten
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Das Ende der Menschheit oder bloß ein Herzinfarkt? Der dokumentierte Atompilz, den der trendfreie aber empörungsfähige Avantgarde-Komponist Bernd Alois Zimmermann vor knapp 60 Jahren wie einen vorweggenommenen Videobeweis des entsetzlichen Fortschritts in den Szenenanweisungen als finales Vernichtungs-Menetekel seiner Oper „Die Soldaten“ festgeschrieben hatte, wird in der Nürnberger Neuinszenierung dieses nur noch bedingt umstrittenen Jahrhundert-Werks wieder nicht gezündet.
Das verweigern inzwischen fast alle Regisseure, weil es ihnen ein paar Nummern zu groß scheint, aber Peter Konwitschny hat sich bei seiner Alternative für den kaum weniger pathetischen, aber eben demonstrativ im Spielfeld des Theaters bleibenden anderen Blick entschieden. Es ist einer, der die politische Parabel reprivatisiert. Bei der zweiten lokalen Produktion des Jahrhundertwerks, nach dem so kühnen wie letztlich kompromisslerischen Erst-Versuch von 1974 im Haus am Richard-Wagner-Platz, wird Zimmermanns Utopie vom „totalen Theater“, in dem das Publikum von Klängen umschlossen zum Mit-Leid gezwungen ist, erst im Schlussbild annähernd radikal umgesetzt. Da zieht die Regie den Zuschauern nach hundert Minuten die gepolsterte Distanz unterm Abo-Hintern weg und befiehlt alle Anwesenden zum abgeriegelten Steh-Konvent hinter dem Eisernen Vorhang auf die Bühne. Von dort, wo man zunächst von Dunkelheit und Suchscheinwerfern bedrängt den Rundum-Sound gediegen gespenstisch erlebt, führt der Blick nach der Front-Öffnung der Feuerschutz-Wand von hinten über die leere Pracht der Parkettreihen hinauf in den Rang, wo auf den teuersten Plätzen das Schicksal abrechnet. Dort, wo der Volksmund, zumindest der mit den dritten Zähnen, gelegentlich noch den Begriff „Führerloge“ benutzt, bricht die letzte Rache-Schlacht aus. Zu den martialischen Marschklängen des Komponisten, der die Apokalypse mit einem „Vater unser“ beschwört, sieht man statt Atomtodesahnung das verflachende Elektro-Kardiogramm der Intensivstation. Konwitschny hat den Sog eines gesellschaftlichen Endlos-Kreislaufs von „gestern, heute und morgen“, den Zimmermann in der Geschichte vom gefallenen Bürgermädchen aus vergangenen Zeiten fokussierte, wie eine privatisierte Götterdämmerung ohne Hoffnungsschimmer vorgeführt. „Soldaten“ braucht er gar nicht, er zeigt „Männer“. In deren Umfeld ist Marie keine romantische Mitleids-Projektionsfläche, eher ein sehr heutiges Luxus-Girlie, das sich koloraturkichernd an den eigenen Defiziten vorbei mogeln will.
Umstritten ist das Stück inzwischen sowieso nicht mehr im Doppel-Schock der Uraufführungs-Zeit, wo die technisch-ästhetischen Herausforderungen mit Massen von Musikern und Sängern nebst Schlagzeugbatterien, Projektionswänden und Hörspielkonserven das Prädikat „unaufführbar“ so schlagartig auslösten, dass die inhaltliche Provokationswucht nur beiläufig wahrgenommen wurde. Heute wird eher gefragt, wie die in der Zuspitzung des Gesellschafts-Psychogramms von Jakob Michael Reinhold Lenz´ Komödie in Umlauf gesetzte Rundum-Kritik über den emotionalen Allgemeinplatz hinaus wirken kann, der im Repertoire dieser anpassungswilligen Sparte sowieso in allen Variationen mehrheitsfähig ist. Die Antworten brachten in den vielen Festival-und Staatsopern-Inszenierungen der letzten Jahre fast überall luxuriös wirkende Ergebnisse, deutlich verortet unter dem imaginären Slogan „Das Unzumutbare, hier wird`s Ereignis“.
Die Nürnberger Neuinszenierung versucht es mit dem hochqualifizierten Normalfall. Peter Konwitschny und sein Ausstatter Helmut Brade nehmen den Raum so groß wie möglich und die darin agierenden Menschen so klein wie nötig. Zunächst ist die Bühne vor allem leer. Weit aufgerissen bis zur Brandmauer wird die offene Szene umstellt von drei mobilen Percussion-Inseln. Für die einzelnen Akte reicht meist das Standard-Design einer knapp bemalten Kulissenwand (von oben) und eines tragbaren Möbelstücks (von der Seite), auch der Requisiten-Wechsel ist vorgeführtes Theater. Die Regie findet blitzschnell den großen Hebel zur Groteske, wenn sie die giggelnden Figurinen der Musik mit Körpersprache doppelt, über das komplette Personal ein grobmaschig fesselndes Netzwerk von Anmerkungen wirft und das Zappeln der Charaktere darin zur Basis aller Tragödie erklärt. Andererseits bringt die Proklamierung von Satire verblüffend stimmige Einfälle, wenn etwa die wohltätige Gräfin de la Roche (die großartige Sharon Kempton könnte gleich als Gräfin Geschwitz, die Lulu-Gefährtin, weitermachen) die beiden individuellen Teenie-Schwestern Marie und Charlotte in die lange Reihe uniformierter Spalier-Hostessen in Zwangs-Kostümen einparkt. Auch bloß „Soldaten“, weiblich, hier für den Fronteinsatz im Vorzimmer.
Die strikte Vergegenwärtigung des Opern-Personals, die kaum vermeidliche Logik-Brüche einfach hinnimmt, irritiert durchaus anhaltend. Die Kunst-Sprache des Originals und das Katalog-Outfit der Interpretation reiben sich mehr oder weniger grob aneinander, kommen damit aber Zimmermanns Partitur der tausend Quellen oft sehr nahe. Deren Schichtungen, ihre fragile Collagen-Architektur und die vom Urknall des Vorspiels bis in die heutzutage geradezu süffig wirkenden Lyrismen sind vom strategisch kühl dirigierenden, nie überanstrengt wirkenden GMD Marcus Bosch und der riesig besetzten Philharmonie (ein Platz im Rang mit Blick in den Graben ist empfehlenswert) mit empathischer Lust umgesetzt. Auch wenn es den Hörer nach wie vor sehr herausfordert, die einzelnen Elemente fürs eigene Verstehen zu fixieren, also die Zwölfton-Rezeptur mit den Würzelementen von Kirchen-Bach bis Straßen-Jazz zu analysieren.
Das perfekt gecastete „Soldaten“-Ensemble garantiert letztlich den Erfolg. Natürlich ist die dänische Sopranistin Susanne Elmark in ihrer Spezialpartie der Marie, zuletzt in Zürich und Wien bei Calixto Bieito im Einsatz, das größte Guthaben. Sie singt schwerste Notierungen völlig mühelos und spielt die Lolita-Lulu mit dem Soap-Charakter, der ihr von der Regie als Klischee-Kurpackung verordnet ist, hingebungsvoll. Im vielköpfigen Ensemble fallen aber nicht nur die Gäste (wie Tilmann Rönnebeck, Uwe Stickert und Solgerd Isalv) auf, sondern auch Ensemblemitglieder wie Martin Platz, Antonio Yang und Hans Kittelmann. Allen voran jedoch der stimmlich von Premiere zu Premiere markanter klingende Jochen Kupfer, der als schüchtern komischer, liebend täppischer, verzweifelt mordender Stolzius sogar seine eigene Leistung vom Vorjahr als Alban Bergs „Wozzeck“ übertrifft.
Inwieweit Zimmermanns „Soldaten“, die einst mit ihrem revolutionären Raumkonzept die Opernhäuser herausforderten, inzwischen beim Rückweg in den Guckkasten schon am Ziel sind, möchte Peter Konwitschny in Nürnberg nicht beantworten. Seine Inszenierung bleibt zu 80 Prozent im konventionellen Rahmen und erfindet ihn dann für 20 Minuten neu. Da steht der Zuschauer im geschlossenen Bühnenraum, bekommt von der obersten Galerie die Gruppenrezitation von Lenz-Merksätzen und erlebt, sofern er es sehen und deuten kann, inmitten der Menschenmasse die bettelnde Marie, der man in der zeitgenösselnden Darstellung zuvor statt sozialem Absturz wegen moralischer Verfehlungen eher die nächste Qualifikationsrunde von DSDS zugetraut hätte. So oder so, die Musik-Attacke des Komponisten deutet in Richtung Weltuntergang, die Intensivstation und der Opernregisseur melden einen Todesfall.
Eine Aufführung, bei der in laufender Vorstellung die Lust wächst, über sie zu streiten. Viel größer kann das Lob nicht ausfallen.
Opernkritik von Dieter Stoll für das curt Magazin.
BERND ALOIS ZIMMERMANNS “DIE SOLDATEN”
MUSIKALISCHE LEITUNG: Marcus Bosch
INSZENIERUNG: Peter Konwitschny
BÜHNE UND KOSTÜME: Helmut Brade
CHOR: Tarmo Vaask
DRAMATURGIE: Kai Weßler
TAGESAKTUELLE BESETZUNG, 17.03.2018:
Tilmann Rönnebeck (Wesener), Susanne Elmark (Marie), Solgerd Isalv (Charlotte), Helena Köhne (Weseners alte Mutter), Jochen Kupfer (Stolzius), Leila Pfister (Stolzius Mutter), Alexey Birkus (Obrist), Uwe Stickert (Desportes), Hans Kittelmann (Pirzel), Antonio Yang (Eisenhardt), Tim Kuypers (Haudy), Ludwig Mittelhammer (Mary), Sharon Kempton (Gräfin de la Roche), Martin Platz (Der junge Graf), Richard Kindley (Bedienter der Gräfin de la Roche ), Johannes Budelmann (Der junge Fähnrich ), Yongseung Song (Drei junge Offiziere), Chang Liu* (Drei junge Offiziere), Chool Seomun (Drei junge Offiziere), Klaus Brummer (Der betrunkene Offizier ), Manuel Krauß (Drei Hauptleute ), Alexander de Paula (Drei Hauptleute ), Petro Ostapenko* (Drei Hauptleute ), Cem Aydin (Drei Fähnriche), Jona Bergander (Drei Fähnriche), Nazzareno Putzolu (Drei Fähnriche), Inga Schulte (Andalusierin ), Staatsphilharmonie Nürnberg, Chor des Staatstheater Nürnberg
WEITERE TERMINE:
Sa 17.03.2018, 19:30 Uhr
Di 20.03.2018 19:30 Uhr
So 25.03.2018 19:00 Uhr
So 08.04.2018 15:30 Uhr
Sa 14.04.2018 19:30 Uhr
Mo 23.04.2018 19:30 Uhr
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