Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Simon Schorndanner
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Der Weg in die fränkische Besonderheit führt am Misthaufen und Bioland-Fleckvieh im wiederkäuenden Wellness-Zustand vorbei, direkt in die Wirtsstube des Gasthauses Fetz. Dort hat Simon Schorndanner, mit dem Etikett „Arztsohn“ ein kauziges Viertel der Konzertkabarettisten von Gankino Circus, als Kind seine Wochenenden verbracht.
Und das Gasthaus Fetz in Götteldorf, hinter Dietenhofen in den unendlichen Weiten Westmittelfrankens gelegen, passt bestens zu der Kapelle, die fränkische Tradition als Trampolin in die Welt begreift und aus Erlauschtem Originalität saugt. Dafür gibt’s im Oktober auch einen Förderpreis des Bezirks Mittelfranken. Ein Gespräch über Preise, Bühnenenergie, eine Dekade Heimatsound und das vierte Album „Die Letzten ihrer Art“, das Ende November erscheint.
ANDREAS RADLMAIER: Gleich zu Beginn müssen wir die Anrede klären: Soll ich Dich nun Simon oder Arztsohn nennen?
SIMON SCHORNDANNER: Ich bin der Simon Johann Schorndanner, der Arztsohn aus Dietenhofen.
A.R.: Bei „Arztsohn“ schwingt so ein dörfliches Kastendenken mit. Selbst erlebt?
SCHORNDANNER: Auf jeden Fall. Da wird man im Dorf öfters darauf hingewiesen, dass man der Arztsohn ist.
A.R.: Ist man da was Besseres oder glaubt man, dass der Arztsohn sich für etwas Besseres hält?
SCHORNDANNER: Genau.
A.R.: Also gut, Arztsohn Simon, was war und ist Dietenhofen für Euch?
SCHORNDANNER: Für mich persönlich zunächst der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, für uns alle die Keimzelle, in der wir begonnen haben, Musik zu machen. Von hier aus sind wir losgefahren zu unseren Straßenmusiktouren. Und dahin kehren wir immer wieder zurück.
A.R.: Ist der Heimatort im Rückblick dann Brutkasten oder Zwangsjacke? Also eher inspirierend oder einengend?
SCHORNDANNER: Wahrscheinlich beides. Das ist ja generell in der Provinz so. Da will man irgendwann raus. Aber sie bietet natürlich eine unglaubliche Auswahl an wunderbaren Beobachtungen, die sich dann auch für die Bühne umsetzen lassen.
A.R.: Weil Eigenarten leichter und deutlicher zu erkennen sind?
SCHORNDANNER: Besser als in der Stadt, glaube ich schon. Je kleiner das Dorf, desto größer die Anzahl an auffälligen Begebenheiten, die man beobachten kann. Das sieht man aber erst dann, wenn man unterwegs war und wieder zurückkehrt.
A.R.: Für den ignoranten Nürnberger dürfte eher immer noch die Gleichung Westmittelfranken = Flachslanden = Degeneriert gelten.
SCHORNDANNER: Ganz so weit würde ich jetzt nicht gehen.
A.R.: Dennoch: Ist der Titel des aktuellen Programms „Irrsinn und Idyll“ die überspitzte Zusammenfassung vom Leben in einer fränkischen Provinz?
SCHORNDANNER: Auf jeden Fall. Im jetzigen Programm ist beides drin. Es fängt idyllisch an und am Ende ist es ziemlich durchgeknallt.
A.R.: Ist Irrsinn in ländlichen Strukturen Alltag?
SCHORNDANNER: Der Irrsinn ist überall. In der Provinz ist er auf gewisse Art und Weise eingedampft, kondensiert, in einem kleineren Kosmos kommt er besser zum Vorschein als in der Großstadt. Der Unterschied ist: Im Dorf hast du nicht die Möglichkeit, dem Irrsinn zu entfliehen. In der Stadt kannst du dir aussuchen, in welcher Schublade du leben willst.
A.R.: Als Gankino Circus tischt Ihr systematisch abenteuerliche Biographien auf, lasst Wirklichkeit und Wirrheit verschmelzen. Wurden Euch diese Münchhausiaden vorgelebt oder ist das eigener Erfindergeist?
SCHORNDANNER: Wir machen Musik und erzählen dazwischen Geschichten. Von Dingen, denen man begegnet, beziehungsweise mit Erfindungen kombiniert.
A.R.: Würdet Ihr Euch als Landeier bezeichnen?
SCHORNDANNER: Als richtige Landeier taugen wir vermutlich nicht, weil wir ganz früh überall unterwegs waren, auf der Straße, in Frankreich, auf dem Balkan. Und damit dieser Ländlichkeit entflohen.
A.R.: Was war da Euer Antrieb?
SCHORNDANNER: Abenteuerlust. Rauszugehen aus dem, aus dem man herkommt. Große Teile der jetzigen Band-Performance kommen noch aus dem Gestus, auf der Straße die Menschen zwingen zu wollen, stehenzubleiben.
A.R.: Das erreicht man durch Auffälligkeit und Virtuosität, oder?
SCHORNDANNER: Ja, und durch eine gewisse, physische Energie. Das ist das Entscheidende. Eigentlich ist Gankino Circus eine Rockband, die keine Rock-Instrumente spielt.
A.R.: Ist Energie dann das Wichtigste für eine Kapelle?
SCHORNDANNER: Eine Band, die keine Energie auf der Bühne produziert, ist uninteressant. Die Frage ist nur, in welche Richtung die Energie geht. Sie kann ja auch emotional sein und nach innen gehen.
A.R.: Und was ist für Euch noch entscheidend? Originalität?
SCHORNDANNER: Ja, wobei da immer die Frage nach dem Original auftaucht. Ich halte Einzigartigkeit – also etwas zu machen, was sonst keiner macht – für treffender. Dadurch schafft man auch ein Original.
A.R.: Liefert Euch die Volksmusik den Fingerabdruck?
SCHORNDANNER: Das Unverwechselbare ist, glaube ich, dass wir uns nicht nur der fränkischen Volksmusik bedienen, sondern etwas kombinieren, was bis dato keiner so gemacht hat. Also süddeutsche Volksmusik in Taktarten zu spielen, die es nur auf dem Balkan gibt. Das macht den Begriff schwierig. Die Volksmusik war ja immer im Wandel.
A.R.: Begreift Ihr Euch als Schwämme, die alles Mögliche aufsaugen?
SCHORNDANNER: Das ist ein interessanter Begriff, weil man wirklich viel aufnimmt. Die Musikspanne ist bei uns sehr weit. Es gibt kein Genre, das ich aus Prinzip nicht höre. Wir interessieren uns für Volksmusik, Klassik, Heavy Metal, Jazz bis Avantgarde. Und das verarbeitet man dann auch auf gewisse Art und Weise.
A.R.: Ist fränkische Volksmusik aktuell der Soundtrack einer verbleichenden Kulturlandschaft, die geprägt ist durch Landflucht, absterbende Kirchweihen und Vereinnahmung konservativer Kreise? Ist Volksmusik hip?
SCHORNDANNER: Auf jeden Fall. In den letzten fünf Jahren gibt’s da eher ein Rollback. Die Frage ist, wie lange das anhält.
A.R.: Im alpinen Bereich wird momentan ja alles geflutet mit dialektgesteuerter Musik.
SCHORNDANNER: Genau, und wir sind die fränkische Variante. Obwohl wir das schon vorher gemacht haben. Aber das hat mit dem Selbstbild der Franken zu tun. Und der Außenwahrnehmung: Das Selbstverständnis ist einfach weniger homogen. Der Franke sagt halt nicht, was kostet die Welt, der Oberbayer schon.
A.R.: Wie reagiert denn der Altbayer auf den „Tradimix“, wie das in München gerne genannt wird?
SCHORNDANNER: Unsere Programme sind so ausgelegt, dass sie auch außerhalb Frankens funktionieren. Letztendlich dreht es sich bei uns um Provinz. Und die ist ja überall. Auch der Humor ist universal. Und wenn ich nicht jede Kärwa-Strophe verstehe, die in einem Song versteckt ist, spielt das auch keine Rolle.
A.R.: Reagiert man in Hamburg anders als in Wien?
SCHORNDANNER: Es gibt schon regionale Unterschiede. Der Osten ist immer speziell. Auch innerhalb Frankens gibt’s krasse Unterschiede. Wenn die faschingsaffinen Unterfranken ihren Schoppen trinken, sind die in einem anderen Mood als die Mittelfranken, die es gemütlich wollen.
A.R.: Wie ist dieser Franconian Heimatsound mit Satire-Einlage eigentlich entstanden?
SCHORNDANNER: Wir haben von Anfang an von der Bühne herab verkündet, wir spielen Lieder aus der Heimat von anderen Menschen. Das trifft es gut. Denn Osteuropäisches, Klezmer und anderes ist eben auch „nur“ Volksmusik. Dafür steht der schreckliche Begriff „Tradimix“.
A.R.: Was schätzt Ihr an der ironischen Zuspitzung? Was macht Kabarett mit Musik?
SCHORNDANNER: Es macht weniger mit der Musik, als etwas mit dem Abend. Es kommt eine Ebene hinzu.
A.R.: Seid Ihr mit diesem „Konzert-Kabarett“ zwischen den Stühlen gelandet?
SCHORNDANNER: Bedenken im Vorfeld gibt es immer wieder. Aber wenn der Abend gelaufen ist, sind eigentlich niemals mehr Fragen offen. Es ist also kein Vor-Ort-Problem, sondern ein Außenwahrnehmungsproblem.
A.R.: Wie stark ist Euer Wille zum Wandel ausgeprägt? Wären ein Country- oder Latin-Album denkbar?
SCHORNDANNER: Ausschließen würde ich es nicht. Aber es gibt Basics, die allein durch die Instrumentierung vorgegeben sind.
A.R.: Persifliert Ihr ein Weltbild?
SCHORNDANNER: Wir haben eine große Wertschätzung gegenüber der Volksmusik. Aber man kann Dinge ja immer auch von zwei Seiten anschauen. Und wir schauen sie eben auch von der anderen Seite an. Die Musik nehmen wir sehr ernst.
A.R.: Klingt diese Musik aktuell oder wie eine Referenz an eine frühere Zeit?
SCHORNDANNER: Sie klingt nicht nach Berghain und Techno-Club. Aber dadurch, dass es so noch niemand gemacht hat, auch sehr aktuell.
A.R.: Ergänze doch mal, bitte die folgenden Sätze: Lachen kann ich über …
SCHORNDANNER: … witzige Situationen, die im Alltag entstehen und über Kabarettisten und Comedians, die ihre Arbeit richtig gut machen, wie zum Beispiel Helge Schneider.
A.R.: In zehn Jahren wird Gankino Circus …
SCHORNDANNER: … Hoffentlich immer noch jede Menge Ideen haben. Und diesen Weg, den wir in den letzten zehn Jahren gegangen sind, fortführen. Und nur noch in riesigen Häusern ausverkaufte Konzerte geben.
A.R.: Ihr habt in Eure Musik ziemlich viel Leidenschaft investiert. Was waren die wichtigsten Stationen dieser Dekade?
SCHORNDANNER: Die Arbeit an den vier Alben und die Konzerte im Ausland.
A.R.: Wie muss man sich Konzerte in Kasachstan und Kirgistan überhaupt vorstellen?
SCHORNDANNER: Das war eigentlich immer richtig geil, weil die Auftritte oft in Gegenden waren, wo nicht viel passiert und die Menschen deshalb richtig hungrig sind.
A.R.: Der kurioseste Auftritt bislang?
SCHORNDANNER: In der Ukraine haben wir auf Einladung des Goethe-Instituts in einer ganz kleinen Kneipe gespielt und die Leute haben richtig gekocht. Sie schrien nach Zugaben, vor allem Männer in den ersten Reihen, die ordentlich Wodka tranken. Einer wedelte mit einer Dollarnote und steckte sie mir in die Jackentasche. Als ich die Jacke zwei Tage später wieder anzog, erinnerte ich mich an den Geldschein und sehe, dass das 100 Dollar waren. Das fand ich schon sehr skurril.
A.R.: Die ersten Preise haben Euch ereilt. Jetzt kommt am 21. Oktober der Wolfram-von-Eschenbach-Preis des Bezirks hinzu. Was bedeuten Euch Auszeichnungen?
SCHORNDANNER: Das streichelt die Seele und das Ego. Es ist jenseits des Applauses Wertschätzung für die Arbeit.
A.R.: Dieses Album heißt „Die Letzten ihrer Art“. Das könnte man als düstere Prophezeiung deuten.
SCHORNDANNER: Naa, das ist eigentlich nicht düster …
A.R.: Also, kein fränkischer Fatalismus?
SCHORNDANNER: Vielleicht ein bisschen. Aber die Letzten ihrer Art sind wir.
A.R.: Weil es keine ernstzunehmenden Volksmusikanten gibt?
SCHORNDANNER: Weil es einfach eine schöne Behauptung ist. Das ist ja Album- wie auch Programmtitel. Und da kommen dann auch Geschichten über Charaktere vor, die auf ihre Art einzigartig sind. Die trifft man ja, wenn man sich in Franken in Gasthäusern oder im Dorf rumtreibt. Da denkt man sich: Wenn die wegsterben, ist da eine Lücke. Das übt schon eine gewisse Faszination auf uns aus.
A.R.: Seid Ihr also Botschafter ausgeprägter Individualität?
SCHORNDANNER: Darüber haben wir uns nie Gedanken gemacht. Wir sind ja nicht Bono, der ein bestimmtes Weltbild transportieren will. Ich persönlich finde Individualismus, wenn er sozial eingebettet ist, interessant. Weil eben jeder Mensch doch einzigartig ist. Alle Formen von Gleichmacherei sind letztendlich schwer zu ertragen. Um auf das neue Album nochmal zurückzukommen: Musikalisch haben wir weniger Vorlagen verarbeitet und mehr eigene Songs beigesteuert. Und wir haben zwei Volkslieder in Instrumentalversion aufgenommen, die sehr schön geworden sind. Einmal „Kein schöner Land“ und „Horch, was kommt von draußen rein“.
A.R.: Über die Wertschätzung deutschen Liedguts wird der Hipster staunen.
SCHORNDANNER: Die Hipster können uns auch ein bisschen wurscht sein. Für uns gibt es zwei Kriterien: Der Song muss uns selber gefallen, damit wir ihn aufnehmen, und er muss auf der Bühne Bestand haben, er muss den Abend mittragen.
A.R.: Ist „Die Letzten ihrer Art“ auch Euer bislang musikalischstes Album?
SCHORNDANNER: Wir haben auf alle Fälle versucht, den Live-Sound im Studio umzusetzen, und das ist uns ziemlich gut gelungen.
A.R.: Ihr habt ganz gute Erfahrungen mit Crowdfunding gemacht. Wie finanziert ihr dieses Album?
SCHORNDANNER: Tatsächlich zum Teil durch das Preisgeld des Bezirks. Und zum anderen wieder durch Crowdfunding. Da setzen wir auf unsere Fanbase. Es gibt wieder ein paar schöne Angebote. Man kann Gankino Circus für‘s Wohnzimmer buchen. Oder man kann das berühmte Trikot von Schlagzeuger Johannes Sens, das er jeden Abend auf der Bühne auszieht, kaufen.
A.R.: Gewaschen oder ungewaschen?
SCHORNDANNER: Es gibt zwei Preiskategorien. Die ungewaschene ist, glaube ich, die teurere.
SIMON SCHORNDANNER / GANKINO CIRCUS
Simon Schorndanner, Jahrgang 1984, ist Saxophonist, Klarinettist und Sänger des Dietenhofener Quartetts Gankino Circus, das sich 2007, also vor zehn Jahren, gründete. Die Freunde, die eine unverwechselbare, so energetisch wie kauzige Variante neuer Volksmusik entwickelten, begannen als Straßenmusiker, studierten teilweise Musik und leben heute überwiegend zwischen Leipzig und Karlstadt in Unterfranken. Gankino Circus spielte Tourneen bis nach Kasachstan und Kirgistan und gibt etwa 90 Vorstellungen pro Jahr. Nach dem Fränkischen Kabarettpreis (2016) und dem Hessischen Kabarettpreis (2017) erhält Gankino Circus am 21. Oktober den Wolfram-von-Eschenbach des Bezirks. Ende November erscheint das neue Album „Die Letzten ihrer Art“.
Live ist Gankino Circus in nächster Zeit im Nürnberger Hubertussaal (30.09.2017), im Würzburger Bockshorn (27.10.2017) und der Comödie Fürth (17.11.2017) zu erleben.
FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist Andreas verantwortlich für o.g. Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale – Formate, die curt journalistisch begleitet. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch, Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.
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