Theobald O.J. Fuchs: Meine kleinen Leute
#Comedy, #Kabarett, #Kolumne, #Krimi, #Theobald O.J. Fuchs
Ich saß auf dem Balkon und glotzte ein großes, rundes Loch in den Himmel über dem Gostenhofer Nirgendwo. Die Elstern schwiegen in den Bäumen, die Tomaten hatten endlich aufgehört, pausenlos zu plappern, sogar die Schildkröten hielten ihr Maul. Es war rasend still. Da hörte ich die Stimme, die zu mir sprach, von ganz nah, beinahe direkt in meinem Kopf.
„Mein Freund!“, sagte der kleine Mann in meinem Ohr. „Ich mag große, dicke Männer über alles. Also auch dich. Ich weiß auch warum. Meine Eltern sind Schuld, sie waren so winzig klein, richtige Spielzeugeltern, die mich nicht beschützen und versorgen konnten. Was meine Eltern jedoch konnten, war kreischen. Sie kreischten oft und laut, damit sie nicht versehentlich zertreten wurden. Doch sie kreischten auch andauernd Befehle, denn Lust auf‘s Herumkommandieren hatten sie genauso wie alle anderen Eltern.“
„Stopstopstop!“, unterbrach ich die Stimme. „Deine Eltern sind klein, viel kleiner als du, sagst du. Doch wie klein müssen sie dann sein, da ja du für mich ebenfalls sauklein bist. Immerhin sitzt du in meinem Ohr, das ich doch für durchaus zierlich halte, und passt locker hinein.“
„Tja“, antwortete er. „Du willst es natürlich wieder genau wissen. Ich verrate es dir. Sie waren sehr klein! Und nun lass mich bitte endlich einmal ausreden. Weil meine Eltern so klein waren, besaßen sie auch nie Geld. Sie konnten ja nicht richtig arbeiten. Also liehen sie sich Geld von mir. Bis ich endlich von Zuhause auszog, war ich deswegen ständig pleite. Egal, wo ich mein Geld versteckte, sie fanden es. Da sie so klein waren, konnten sie in jeder Ritze danach suchen.“ Es fiel meinem Freund schwer, darüber zu reden, aber er wünschte sich oft, seine Eltern würden sterben. Schnell und schmerzlos, beide auf einmal, zum Beispiel, weil jemand unabsichtlich auf sie drauf trat, oder der Hund der Familie, um den sich mein Freund komplett alleine kümmern musste, sie einfach aufleckte und verschluckte. Er hatte oft ein schlechtes Gewissen, wenn er sich ihren winzigen Tod wünschte, aber sie waren nun einmal lästiger als Flöhe und überflüssiger als Kellerasseln.
Doch nichts dergleichen geschah, seine Eltern überstanden alle Gefahren und quälten meinen Freund bis auf‘s Blut. Je älter sie wurden, desto kleiner wurden sie und umso schriller erklang ihr Kreischen, wenn sie den Jungen beschimpften, dass er zu wenig Geld in den Spalten des Schrankes und hinter der Tapete versteckt hätte.
Er weinte ein bisschen, denn ich fühlte eine lauwarme Flüssigkeit in mein Ohr sickern. Jedenfalls hoffte ich, dass es Tränen waren.
„Der einzige Vorteil war“, fuhr er fort, „dass meine Eltern nicht so viel aßen, sie waren ja echt klein, und irgendwann waren sie so klein, dass sie überhaupt nichts mehr essen mussten. Irgendwann begannen sie, mir Fäden aus meinen Kleidern zu zupfen, ganz unauffällig, aber so penetrant, dass ganz schnell meine Hosen Löcher an Stellen bekamen, wo keine sein sollten, und auch meine Hemden sahen so aus, als hätte ich sie einem ertrunkenen Matrosen ausgezogen.“
„Aber warum, sapristi nochmal“, fragte ich, „warum waren deine Eltern so winzig?“
„Natürlich habe ich sie das schon vor langer Zeit selber gefragt. Zu meiner großen Enttäuschung bekam ich nicht eine Antwort. Sondern zwei. Mein Vater behauptete, das sei schon immer Tradition in unserer Sippe, während meine Mutter den Fluch einer albanischen Hexe als Grund nannte, der abgeschnittene Fingernägel in die Hände gefallen seien, die meine Großmutter nicht – wie es sich gehörte – verbrannt hatte. Und Zack! Die ganze Familie verwünscht!“
Damit verstummte er. Ich wbetrachtete die Fingernagelschnipsel, die am Boden lagen. Ich betrachtete die Löcher in meinem Unterhemd. Ich zählte das Geld in den Ritzen meiner Hosentasche. Ich sah mich gründlich um, ob nicht auch mich ein riesengroßes Ohr umgab.
Dann beschloss ich, noch ein Stück zu wachsen.
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Und was macht Theo WIRKLICH und sonst so?
... im Juli eigentlich nichts, hat er uns verraten. Schreiben tut er wieder irgendwas. Ob das nun der Weihnachtswunschzettel ist, er die Unterschrift seiner Nachbarin übt („Kann man immer brauchen!“) oder seine Weltkarriere als Krimiautor weiter ausbaut? Keine Ahnung.
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