Im Gespräch mit Julian Radlmaier

DONNERSTAG, 8. JUNI 2017, FILMHAUS

#Film, #Filmhaus Kino, #Freizeit, #Interview, #Kino

Markus Nechleba im Gespräch mit dem jungen Nürnberger Regisseur Julian Radlmaier über seinen neuen Film “Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes”, der bei der Berlinale 2017 in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ zu sehen war und bei uns ab 8. Juni u.a. im Filmhaus gezeigt wird.

M.N.: Der Regisseur im Film, den Du ja selbst spielst, sagt, ihm schwebe so etwas wie ein Märchen von der Schönheit der kommunistischen Utopie vor. Ist das auch eine Beschreibung dessen, was Du beabsichtigt hast?
 
JULIAN R.: Vielleicht ist es vermessen, und ob es auch nur annähernd geglückt ist, weiß ich nicht, aber ja: Ich hoffe, dass durch all die Kapriolen, Widerstände, Dummheiten, Kurzschlüsse und Irrläufer hindurch spürbar wird, „dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt“. (Marx): Dass nämlich die Möglichkeit einer anderen Welt immer schon latent im Gegebenen vorhanden ist. Hiervon eine Ahnung zu geben, die Gleichheit der Menschen evident zu machen, ist ein fundamentales Vermögen des filmischen Bildes. Ein Vermögen, das aber von den Geschichten, die das Kino erzählt, meist konterkariert wird. Die These des Films ist, dass dies etwas mit den Klasseninteressen ihrer Autoren zu tun hat. Also vielleicht auch mit meinen eigenen.
 
M.N.: Eine Frage, die Du als Regisseur des Films im Film nicht beantwortest – weil sie Dir auch nicht gestellt wird -, ist, warum Deine Ideologie-Kritik die Form einer Komödie hat? Ist die Komödie wirkungsvoller im Demaskieren? Ist aber die Rede von der « Schönheit der kommunistischen Utopie » nicht auch pathetisch? Und sind nicht auch die (eine) Figur des Idiotes, der Mönch und die Wunder, die er vollbringt, pathetisch?
 
JULIAN R.: Das Komische ist die ideale Form, um widerstreitende Ideen und Begriffe in neue (Un-)Sinnzusammenhänge zu bringen, ohne dass der realistische Wahrscheinlichkeitszwang diesem Spiel all zu sehr entgegensteht. Was mich beim Schreiben antreibt, ist zunächst einmal die Lust am Fabulieren unwahrscheinlicher Geschichten und am Spiel mit der Sprache, bis an die Grenzen des Absurden: Letztlich ist Selbstkritik ja vor allem auch ein Film über Sinn und Unsinn des Sprechens. Und alle „politischen“ Filme, die mich beeinflusst haben, besitzen dieses Komödienelement: In erster Linie “Le Crime de monsieur Lange” von Jean Renoir, der für die Entstehung dieses Films sehr wichtig war. Mit dem Komischen lässt sich ideologischer Sinn dekonstruieren, aber auch so etwas wie ein „emanzipatorischer Widersinn“ konstruieren. Und ein Diskurs führen, der gleichzeitig heiter, lustvoll und todernst ist. Denn hinter dem Lachen des Films steckt eine echte Hoffnung und ein echter Schrecken: Der meinetwegen pathetische Versuch, an eine andere Welt zu glauben, und das Bewusstsein, selbst an der Verhinderung dieser anderen Welt mitzuwirken.
 
M.N.: Deine Selbstkritik an der bourgeoisen Existenz und am Möchtegern- oder Diskurs-Kommunismus wird mit einer nie auch nur im Ansatz Erfolg versprechenden, einseitigen Liebesgeschichte begleitet, verwoben. Ist das ein Zugeständnis an den Unterhaltungswert oder geht es auch um Kommunismus und Trieb? Also, welcher Trieb muss befriedigt sein, bevor man(n) anfangen kann, sich ernsthaft Gedanken um eine Gesellschaft von Gleichen zu machen?

JULIAN R.: Ich würde es etwas anders beschreiben: Das utopische Potenzial meines fiktionalen Alter-Egos beschränkt sich auf eine – letztlich substanzlose – romantische Projektion. Sein Glücksstreben ist vollkommen individualisiert. Sein politisches Bewusstsein tendiert deshalb dazu, nur noch der Distinktion im narzisstischen Konkurrenzkampf zu dienen. Es geht aber nicht darum, den „Liebeswunsch“ gänzlich lächerlich zu machen zu Gunsten einer höheren politischen Wahrheit, sondern eher darum, die Frage nach der Möglichkeit politischen Subjektivierung inmitten der unrühmlichen affektiven Alltagsverstrickungen derer zu stellen, die da subjektiviert werden sollen: Kann ein im neoliberalen Kapitalismus sozialisiertes, bürgerliches Subjekt die „Gesellschaft von Gleichen“ wirklich begehren? Oder kann der postmoderne Narziss das egalitäre Versprechen nur als Bedrohung des Primats der eigenen Befindlichkeit wahrnehmen? Also lautet die Frage vielleicht nicht: Welcher Trieb muss befriedigt sein, sondern: Welcher Zugang zum Anderen wäre nötig, um jene Gesellschaft zu errichten? Hier setzt die Selbstkritik des Films an. Das Utopische an der Figur Camilles ist nun, dass sie sich eben doch Zugang zu einem „kollektiven Begehren“ findet, ohne dafür ein „neuer Mensch“ werden zu müssen, wie ihn sich die Sowjets erträumten. Und selbst bei Julian klappt es ja am Ende irgendwie, wenn auch nur mit Hilfe eines Zaubertricks.
 
M.N.: Die Bezeichnung « Idiot » kommt in dem Film ziemlich häufig vor. Ein Satz, den Du selbst sagst, könnte eine kurze und knappe Zusammenfassung des Films sein: « Ein paar Idioten gegen den Weltgeist. » Dabei gibt es die wirklich Dummen, dann die bloß allzu Gutgläubigen, Naiven, und dann die « Armen im Geiste », die außerhalb der herrschenden Logiken gegen diese revolutionären, poetischen, wundertätigen Widerstand leisten. Gleich mehr Vorbilder in Literatur und Weltgeschichte werden ja deutlich zitiert. Geht es genau darum, Herrschaft durch die Unberechenbarkeit des Individuellen, Nichtreduzierbaren zu zerstören? Bei aller Zwiespältigkeit?
 
JULIAN R.: Ja! Der „Idiot“ ist eine Figur, die nicht versteht, warum die Welt ist, wie sie ist, und nicht anders. Die gegen alle Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, sich eine andere Welt vorzustellen: Das ist die Idiotie von Hong und Sancho. Letztendlich repräsentieren sie das Prinzip, ja die Würde, der Fiktion: Nämlich einen Abstand zur Logik der Realität herzustellen. Dieser Abstand ist es, der uns erlaubt, aus dem fatalen Kreislauf der ewigen Wiederkehr des Gleichen auszubrechen. Es geht also auch um eine Form „ästhetischer Idiotie“, einer affirmativen Naivität. Und dann gibt es noch den Idioten als ethische Figur, als ästhetische Figuration der reinen Güte, dessen „Idiotie“ in der Freiheit von jeder zynischen Kalkulation besteht: Der stumme Mönch, der unmittelbar von einer Figur aus Rossellinis Francesco, Giullare di Dio inspiriert ist und hier für eine notwendige ethische (nicht religiöse!) Dimension der ökonomischen und politischen Utopie steht.
 
M.N.: Es müsste hier noch eingegangen werden auf die Erscheinung, das konkrete Spiel/Nicht-Spiel Deiner Darsteller, ihre ganz individuellen « Seinsweisen ». Auch von denen, die nur kurze Auftritte haben, z.B. in der großartigen Vollversammlung-Szene.
 
JULIAN R.: Das „Schauspiel“ ist für mich das schönste und wichtigste Element dieses Films! Das Ensemble ist ja extrem divers. Die meisten sind Laien, dazu kommen ein paar professionelle Schauspieler, zusammen ergibt das ein sehr reiches Spektrum an Spielweisen. Denn das ist das zentrale Interesse des Films: Ihre unterschiedlichen Arten zu sprechen, sich zu bewegen, zu erscheinen, zu spielen (oder auch nicht)! Dabei interessiert uns weder die Scheinnatürlichkeit naturalistischen Schauspiels, noch die theatrale Bravourleistung (oder höchstens als eine Farbe von vielen). Sondern etwas viel Brüchigeres, Sperrigeres, Schöneres. Auch hierfür ist Renoir wichtig für mich und insbesondere Straub-Huillet. Gleichzeitig besteht zu allen Darstellern eine persönliche Verbindung, fast alle sind Freunde und Bekannte. Du spielst ja selbst den italienischen Gefängniswärter. Es gibt kein Casting, sondern wir überlegen, welche Freunde (oder wessen Eltern) im Film unbedingt mitspielen sollten. Nur Deragh Campbell kannte ich nicht, bevor ich sie erstmals für den Film kontaktierte, dennoch bestand auch zu ihr eine indirekte persönliche Verbindung, weil sie mit Matt Porterfield zusammengearbeitet hatte, zu dem wiederum einige Leute aus meinem Umfeld enge Verbindungen haben. Für ihre Rolle schien es mir wichtig, dass die Darstellerin aus einem ganz anderen Kontext dazustößt, um sie dann aber in unseren sozialen Kosmos zu integrieren, der dadurch auch seine Offenheit beweist: Nicht die Filme einer hermetischen Clique, sondern einer offenen Gemeinschaft. Hier liegt meine persönliche Utopie des Filmemachens: All diesen so unterschiedlichen Menschen einen Raum im Film zu geben, mit der zufälligen Ansammlung von Individuen, die einem im Leben begegnet sind, ein Bild der Welt zu schaffen, das in allen Farben möglicher Ausdrucksweisen schillert. Das Ergebnis davon ist, davon bin ich überzeugt, ein Bild der Solidarität des Individuellen.
 
M.N.: Die Kamera des Films ist sehr präzise, sehr klar, man möchte sagen hell und leicht, trotz ihrer Unbeweglichkeit. Genauso klar sind die Blicke, fast immer eindeutig gerichtet. Aber so, dass sich in der üblichen Sehgewohnheit die Blicke eigentlich nie treffen. Das erzeugt eine Irritation, ein Schweben der einzelnen Figuren, sie werden in den Schnitt-Gegenschnitt-Sequenzen nicht so fest miteinander verbunden. Außerdem sind sie ganz oft leicht untersichtig, so dass sie über einen hinwegschauen.
 
JULIAN R.: In meinen letzten beiden Filmen galt das entscheidende, visuelle Interesse dem Verhältnis von Figur und Raum. In diesem Film haben mein Kameramann Markus Koob und ich den Versuch unternommen, das nach wie vor bestehende Interesse an räumlichen Konstellationen mit Portraits von Individuen zu balancieren. Diese Portraits nun wollten wir monumental, erratisch, autonom. Sie fügen sich nicht einer homogenisierenden Blickregie, manchmal hat in einer Sequenz sogar jeder sein eigenes Licht, ja sein eigenes Wetter: wir haben in der Farbkorrektur stellenweise Sprünge noch verstärkt, statt sie einander anzugleichen. Das Aufregende für mich ist, wie diese lose verknüpften Bilder dennoch miteinander kommunizieren, aber eben indem sie aus ihrer Autonomie heraus Brücken schlagen. Nur die Kadragen ähneln sich, so dass jeder die selbe Bühne erhält: Eine Gleichheit in der Verschiedenartigkeit. Das hat mit Seherfahrungen bei Pasolini zu tun, aber auch bei Ozu. Wir sehen die Figuren auch meistens im On sprechen: Weniger passiv dem Blick ausgeliefert, als ihm als sprechende Wesen entgegentretend.
 
M.N.: Und dann gibt es da noch den Hund, und die Wolken.
 
JULIAN R.: Die Möglichkeit der Verwandlung, oder zumindest: Des spekulativen Abstands von sich selbst; und das Offene, Werdende, Mäandernde, das, was der Einbildung auf die Sprünge hilft.



Die Spieltermine im FILMHAUS:
DO 8.6. 20:30 Uhr
FR 9.6. 19:15 Uhr  
SA 10.6. 20:00 Uhr:  Zu Gast: Julian Radlmaier
SO 11.6. - MI 14.6. 20:30 Uhr
DO 15.6. - SO 18.6. 18:30 Uhr
MO 19.6.  - MI 21.6. 19:00 Uhr   
www.kunstkulturquartier.de/filmhaus

 
Der UFERPALAST zeigt eine kleine Werkschau und zeigt auch Julians ander Filme in der Kinowoche DO 8.6. - MI 14.6.
www.uferpalast.de

 




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