Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Barbara Engelhard

SONNTAG, 30. APRIL 2017

#Andreas Radlmaier, #Blaue Nacht, #Im Gespräch mit, #Interview, #Kunst

Das Abenteuer wartet im Gästezimmer: Odysseen in allen Varianten an den Wänden, auf dem Bett, auf Sesseln und Tisch. Bücher, Skizzen, Storyboards, Zitate von Homer, der mit Nachnamen nicht Simpson heißt, sondern ein schwer identifzierbarer Autor mit 2.800 Jahre junger Karrierespur ist. Inspirationsquellen für Barbara Engelhard, die in der Blauen Nacht am 6. Mai für die publikumsmagnetische Burg-Projektion zuständig ist.

Zehntausende werden wieder zur Kaiserburg hoch pilgern. „…mit Rosenfingern erwacht“ heißt ihr Bilderbogen, der im Titel die farbige Poesie Homers spiegelt. Barbara Engelhard hat sich diese Menschheits-Irrfahrt erobert, vom Gästezimmer aus. Denn schließlich ist die Fürther Künstlerin dreifache Mutter. Und vom Erdgeschoss des Einfamilienhauses aus hat sie – ganz anders als vom eigentlichen Atelier im Keller aus – den Nachwuchs viel besser im Blick. Beim Kreativ-Training mit der „Odyssee“.

A.R.: Kinder, Kunst, Karriere – welcher Rangfolge gehorchst Du?

BARBARA ENGELHARD: Das passiert alles gleichzeitig und miteinander. Dadurch, dass ich nur ein gewisses Zeitkontingent besitze, um Ausstellungen aufzubauen oder Kunstwerke anzufertigen, kann ich nicht den ganzen Tag rumsitzen und überlegen, sondern ich weiß, ich habe mir drei Stunden frei geschaufelt – da muss es passieren! Das heißt, alles muss gut vorgeplant und durchdacht sein. Meine Lebenssituation hat einfach mehr Klarheit in meine Kunst gebracht. Meine Kinder haben mir geholfen, meine Richtung zu finden und mich auf das zu konzentrieren, was ich machen will. Meist mache ich vormittags Kunst und nachmittags bin ich für meine Kinder da.

A.R.: Also der Spagat zwischen Bügelwäsche und Bilderwelt?

B. ENGELHARD: Ja, zwischendurch sitze ich im Bad und föhne Kuscheltiere trocken, mache auch abstruse Dinge, die mich eher an eine Performance erinnern. Und natürlich muss ich spontan bleiben, denn mit Kindern passiert Unvorhergesehenes. Mein Sohn hatte zum Beispiel vor kurzem zwei Schulaufgaben in Mathe und Englisch – da habe ich selbstverständlich Hilfestellung geleistet. Und danach habe ich wieder an die Burg-Projektion bei der Blauen Nacht gedacht.

A.R.: Wie viel zusätzliche Energie muss man da als Künstlerin aufbringen, um am Ball und vor allem kreativ zu bleiben?

B. ENGELHARD: Man braucht schon Energie und Durchhaltevermögen. Manchmal muss ich auch lernen zu warten, weil gerade etwas nicht geht. Ich muss mich eben um die Kinder kümmern, dass sie versorgt sind. Erst dann kann ich anfangen zu arbeiten. Die Pflicht geht eben vor. Wenn die Familie krank ist, kann es passieren, dass die Kunst eben fünf Tage ruht. Da heißt es warten. Und gerade dabei fallen einem Neues, Anderes und Korrekturen ein und auf.

A.R.: Das Überlebensszenario Kellnern, Taxifahren, Supermarkt war nie ein Thema?

B. ENGELHARD: Kann man nicht so sagen. Als ich mein Aufbaustudium gemacht habe, waren die größeren Kinder gerade drei und fünf, und mein Mann war in der Ausbildung zum Kaufmann für Finanzen. Da habe ich dann eben in der Albrecht-Dürer-Gesellschaft – damals bei Natalie de Ligt – zwei Tage die Woche gearbeitet. Das war mir aber auch wichtig. Ich konnte nicht den ganzen Tag zuhause sitzen und Kinder hüten.

A.R.: Plagen Dich heute Existenzängste?

B. ENGELHARD: Das nicht, aber ich muss mir sehr gut überlegen, welche Kunstprojekte ich mir leisten kann anzunehmen und welche nicht. Man trifft in der Kunstszene ja leider immer noch auf die
Haltung, dass man eine Ausstellung machen soll, aber nichts
dafür bekommt.

A.R.: Was sagt das über eine „Kulturnation“ aus?

B. ENGELHARD: Deutschland ist schon ein Kulturland, zweifellos. Aber es ist immer noch ein Unding, dass sich der Künstler darauf verlassen muss, dass er etwas in Ausstellungen verkauft, aber alle anderen bei Vernissagen – wie Caterer, Redner, Musiker – werden bezahlt. Nur die Hauptperson bekommt nichts. Und es gibt ja auch Bestrebungen, etwa vom Berufsverband Bildende Künstler in Berlin, dass man für eine Ausstellung eine Vergütung bekommt. Ein Künstler sollte eben immer eine Aufwandsentschädigung bekommen und dazu Materialgeld. Er muss ja auch leben.

A.R.: Wolltest Du deshalb schon mal aufgeben?

B. ENGELHARD: Nein. Es gab immer Wege der Finanzierung. Inzwischen erlaube ich mir auch, ein Honorar zu fordern. Das ist aber nicht gang und gäbe. Kunst im öffentlichen Raum wird – das ist mein Eindruck – augenblicklich von Städten als medienwirksames Ereignis gesehen, das Menschen anlockt. Da bietet man gerne die Stadt als Spielort an, aber so gut wie kein Budget. Da muss sich in den Köpfen einfach noch etwas ändern.

A.R.: Die Vertreter der reinen Kunst-Lehre betrachten Die Blaue Nacht mitunter etwas distanziert. Wie hältst Du es mit einem Ereignis, bei dem Zuschauer keine Fremdkörper sind?

B. ENGELHARD: Ich finde an der Blauen Nacht besonders den Kunstwettbewerb interessant und gehe – wenn ich nicht als Künstlerin dabei bin – die Orte ab. Für Menschen, die sonst nie in Kunsteinrichtungen gehen, ist das eine tolle Chance und Inspiration. Und für Kulturschaffende ist es eine Gelegenheit, sich ein neues Publikum zu verschaffen. Deshalb macht mir ja auch Kunst im öffentlichen Raum so viel Freude. Die Menschen, die ich anspreche, hatten oftmals noch nie etwas mit Kunst zu tun. Das führt zu großartigen Erlebnissen und direkter Konfrontation. Ich mache ja Kunst nicht nur für mich, sondern auch für die Leute, und nicht nur das ausgewählte Kunst-Publikum.

A.R.: Gab es für Dich eigentlich ein Urerlebnis, dass Du es nicht bei der Malerei bewenden lassen wolltest?

B. ENGELHARD: Mein damaliger Professor Werner Knaupp hat immer gesagt, es sei total wichtig, das zu finden, was du bist und was du willst. Ihm sei es völlig egal, ob man seine Berufung als Blumenverkäuferin findet oder als Fotograf. Es gehe um die Erfüllung. Das Studium an der Akademie ist ja auch ein wenig eine Suche. Das Tolle ist dabei die Freiheit. Ich habe mit Malerei begonnen, hatte aber die Chance, alle anderen Aspekte von Kunst auszuprobieren und mich wirklich zu finden. Ich habe zunächst mit Keilrahmen-Objekten an der Wand experimentiert und beim Abschluss mit meinem Museumsshop Barbara eine Installation geschaffen, mit mir als Teil davon. Rückblickend betrachtet war das der erste Schritt in die Performance. Nach der Kinderpause hat mir die Kunst gefehlt. Da gab es dann erstmals die Idee, mit Performances und Installationen auf die Straße zu gehen.

A.R.: Staunst Du, wie sich das Publikum regelmäßig zum Mitmachen animieren lässt?

B. ENGELHARD: Manchmal schon. Wie es sich darauf einlässt, wenn man sieht, wie im Publikum die Augen anfangen zu leuchten. Wenn die Leuten sagen, so haben sie das ja noch nicht gesehen. Ich finde es toll, den Menschen neue Blickwinkel zu zeigen, ohne ihnen eine große Botschaft vorzugeben, sondern einfach die Welt noch mal ein wenig anders zu sehen und dadurch zu inspirieren.

A.R.: Wollen die Menschen am Ende den Kontakt zur Kunst und diese lässt das nicht zu?

B. ENGELHARD: Der Umgang ist in der Tat manchmal nicht einfach. Dabei habe ich nun Kunst studiert. Aber auch ich brauche in Ausstellungen mit abstrakter Kunst einen erklärenden Text, um den Künstler zu verstehen. Das ist aber legitim.

A.R.: Kunst muss also nicht selbsterklärend sein?

B. ENGELHARD: Muss sie nicht. Moderne Kunst braucht manchmal noch einen Text dazu. Deshalb gefallen mir auch Handlungsanweisungen bei partizipatorischen Projekten. Und weil wir Individuen sind, fällt die Umsetzung dann auch ganz eigen aus. Wenn ich eine Handlungsanweisung formuliere, erstaunt mich die Umsetzung oft. Bei meiner Installation „Out Side in“ im Kunstverein Kohlenhof vor drei Jahren im Rahmen der Blauen Nacht – wo ich auch einen typischen Außenraum ins Innere verlegt habe – hat dann einer auf den Bänken Liegestützen gemacht. Da wäre ich nie im Leben drauf gekommen!

A.R.: Und wie lautete die Handlungsanweisung?

B. ENGELHARD: Anregungen für urbane Fortbewegungsformen: Verfolgen, Nachlaufen, Hinterherschleichen, sich Treibenlassen – Begriffe aus der Aktionskunst.

A.R.: Ist Kunst auch ein wenig Therapie für Dich?

B. ENGELHARD: Mit Leuten zu kommunizieren liegt mir. Ich will zwar nicht therapieren, aber wissenschaftlich zeigen, was ist und was möglich ist. Kunst regt zu Diskussionen an, deshalb ist sie auch so wichtig.

A.R.: Was reizt Dich an einem Projekt wie die Burg-Projektion?

B. ENGELHARD: Zum einen fand ich das Thema großartig, weil es so überdimensional erscheint. Da ist alles und nichts drin, die ganze Gefühlswelt, Liebe, Hass, Krieg, Flucht, Verrat, Täuschung, Treue – das macht uns Menschen aus. Das ist eine tolle Basis, um darauf frei meine Kunst zu entwickeln.

A.R.: Du zeigst Dich fasziniert von der Sprache Homers. Was löst bei Dir Impulse aus?

B. ENGELHARD: Die Burg-Projektion basiert ja nur auf Bildern, ohne Ton. Ich habe mir folglich überlegt, wie ich eine Kommunikation zwischen der Burg-Projektion und dem Publikum aufbauen könnte. Da war sofort die Idee von Schrift und damit direkter Ansprache da, salopp gesagt ein „Hey du!“. Dass ich jetzt Textpassagen verwende, kam während der Arbeit mit den Bildern, die ich aus meinem Fundus destilliert und zu einer Geschichte zusammengesetzt habe. Es sind Fragmente aus der „Odyssee“, die offen sind, eine Landschaft, eine Situation, ein Gefühl beschreiben. Ich spiele mit den Worten und setze sie neu zueinander.

A.R.: Du wolltest schon als Teenager Kunst machen, hast diesen Wunsch ja auch realisiert. Woher kommt dieses Verlangen?

B. ENGELHARD: Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass man mir als Kind nur Papier und Stifte geben musste. Ich habe das geliebt. Ich hatte vielleicht auch das Glück, dass meine Eltern diese Passion immer gefördert haben. Sie sind auch kunstinteressiert. In Urlauben waren wir immer in Kunstmuseen. Mit meiner Großmutter habe ich – unterstelle ich mal – alle Kirchen und Schlösser gesehen, die es in Deutschland gibt. Diese Besuche waren verbunden mit ausführlichen Bilderklärungen. Die Barbara mit dem Turm, die Margareta mit dem Wurm, die Katharina mit dem Radl, das sind die drei schönsten Madl. Großmutter hat uns immer Geschichten vorgelesen, war in Kirchen und Schlössern immer in Nischen mit uns unterwegs. Mit dem Ergebnis, dass ich mit meiner Schwester in Schloss Linderhof mal eingesperrt wurde, weil man uns übersehen hatte. Meine Schwester hat dann im Richard-Wagner-Bett übernachtet.

A.R.: Also frühkindliche Kunst-Prägung. Ergänze doch den folgenden Halbsatz bitte: Ein Leben ohne Kunst …

B. ENGELHARD: … ist nicht erfüllend.

A.R.: Der nächste Halbsatz: Ich möchte sein wie …

B. ENGELHARD: … ich selbst.

A.R.: Keine Vorbilder?

B. ENGELHARD: Klar, Marina Abramov natürlich.

A.R.: Nürnbergs Kulturszene ist …

B. ENGELHARD: … gut. Könnte noch besser werden.

A.R.: Was muss sie dafür tun?

B. ENGELHARD: Die Bewerbung um die Europäische Kulturhauptstadt ist dafür sehr gut. Weil dadurch Kunst und Kultur in den Vordergrund gerückt werden und vielleicht einen anderen Stellenwert bekommen.

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FOTOS: CRISTOPHER CIVITILLO. WWW.CRIS-C.DE

FÜR NÜRNBERG: BARBARA ENGELHARD
Barbara Engelhard, geboren 1974 in Nürnberg, fand zielstrebig über die Fachoberschule zur Kunst. Sie studierte von 1995 bis 2001 an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg Malerei bei Prof. Werner Knaupp und absolvierte ebendort von 2010 bis 2013 den Studiengang Kunst und öffentlicher Raum bei Prof. Simone Decker (Abschluss Diplom postgrad). In der Kinderpause war sie Assistentin im Kunstverein Albrecht-Dürer-Gesellschaft bei Natalie de Ligt. Mit ihren Installa-tionen und Performances schafft Barbara Engelhard nicht nur eigene, inszenierte und autonome Bildwelten, die sie fotografisch festhält, sondern schafft es stets, das Publikum spielerisch einzubinden. Sie hat verschiedene Preise und Stipendien erhalten, war u.a. bereits mit drei Projekten beim Blaue-Nacht-Kunstwettbewerb erfolgreich. Ihrer Lust an der Kunstvermittlung geht sie im KinderKunstRaum auf AEG und im KPZ in der Kunstvilla nach. Barbara Engelhard lebt mit ihrem Mann und drei Kindern (4, 9, 12 Jahre) in Fürth. Arbeiten von ihr sind bis 7. Mai im Künstlerhaus des KunstKulturQuartiers in Nürnberg zu sehen und danach zwei Mal in Zirndorf: vom 22. bis 25. Juni bei der Kunstausstellung „Maschinen.Objekte.Obsessionen“ auf Gut Wolfgangshof und ab 23. Juni in der Pinderpark-Galerie.

FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist Andreas  verantwortlich für o.g. Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale – Formate, die curt journalistisch begleitet. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch, Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.




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