Neuer Messi auf der Ersatzbank: Britisches Kicker-Stück "Der rote Löwe"
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Die Story ist rund, die Bühne eckig, aber das Spiel bleibt trotz der Verlängerung auf 120 Minuten beim trotzigen Charme eines hochverdienten Unentschieden. Dabei waren die Rahmenbedingungen für einen Siegestreffer zur Deutschland-Premiere von Patrick Marbers Kabinendrama „Der rote Löwe“ in Nürnberg bestens, geht es dabei doch auch um jenen grade mal wieder besonders sehnsüchtig beschworenen Traum vom Fußballsport, der im Dribbling zwischen Geschäftsmodell und Ersatzgottesdienst den Ball gegen alle Gesetze der Bodenberührung immer unter Kontrolle behält. Wer´s glaubt bleibt selig! Erlöschende Lichtgestalten, verhaftete Präsidenten und schlägernde Fanclubs mögen als verdunkelndes Tagesthema gelegentlich in die Idylle rutschen, aber die Verklärung überblendet wie ein ewiges Licht aus anderen Religionen am Ende jede Krise. Was für ein Theaterthema, vielleicht eher Oper.
Darf es ein paar Nummern kleiner sein? Sepp Blatter oder Franz Beckenbauer würden diese angerostete Umkleide eines drittklassigen Vereins, wie sie Bühnenbildner Günter Hellweg auf der Breitwand der Kammerspiele für den Zuschauer als mit den Augen riechbares Schweiß-Biotop entwarf, ohnehin nicht betreten. Hier bei den britischen Roten Löwen, deren Name also keineswegs auf eine Fusion von 1. FC Nürnberg und 1860 München schließen lässt, herrscht latenter Ausnahmezustand, immer mit ausfahrbarer Emotion nahe an triumphalem Sieg und heroischer Enttäuschung. Oder an der Illusion von beidem.
Die drei Prototypen, die der Autor zusammenspannt, repräsentieren gegensätzliche Gemütslagen. Da ist der hingebungsvoll an die Reinheit des Spiels glaubende Zeugwart, zuständig fürs Ausbügeln von Problemen und Trikots, der einst die eigenen Kleinkarrieren als Kicker und Trainer in den Sand setzte und nun – wenn er nicht grade das Vereinswappen am Hemdchen küsst wie ein Priester das Kreuz seiner Stola – gern den väterlich-selbstlosen Talentförderer gibt. Er ist im Clinch mit dem ganztägig zynischen Trainer, der jeden Preis für Aufstieg und Karriere zahlt. Den eben aus dem Nichts aufgetauchten Nachwuchskicker ernennt er von der Ersatzbank weg zum „neuen Messi“ und leitet umgehend den Menschenhandel ein. Der naive Junge mit desolatem Elternhaus ist aus nicht näher erläuterten Gründen so religiös, dass er sogar „Schwalben“ im Strafraum verweigert, hat aber auch sonst Macken. Leider plagt ihn als Folge häuslicher Gewalt (der Papa war ein Schläger) sein kaputtes Knie und deshalb spritzt er heimlich Fitnessdrogen. Wenn das rauskommt, sind alle Präsidenten dagegen. Ende von drei Karrieren. Vorerst. Der abgestrafte „Papa Bär“-Zeugwart liebt den Verein unverbrüchlich, der entlassene Trainer mit der großen Klappe stellt sich an der unteren Sprosse der Leiter neu auf und der geplagte Juniorkicker hofft mit blauen Augen nun auf das Wunder der Orthopädie. Wiedersehen in der Kreisklasse nicht auszuschließen.
Patrick Marber, der mit dem später verfilmten Stück „Hautnah“ ab 1999 auch an deutschen Bühnen viel Erfolg hatte und mit Hinweis auf „Schreibblockade“ zwischen 2008 und 2015 große Theaterpause machte, stützte seinen in London wohlwollend aufgenommenen Comeback-Versuch mit biografischem Hintergrund ab. Er ist nicht nur Fankurven-Mitbewohner eines britischen Regionalliga-Clubs, sondern dort auch einer von vielen ortsansässigen Kleinteilhabern, die gegen jeden Zugriff von Öl- oder Limonaden-Milliardären als Volkseigner ihren Club erhalten. Man darf also davon ausgehen, dass er weiß, wovon seine Figuren reden. Der Nürnberger Schauspieldirektor Klaus Kusenberg setzt bei seiner deutschen Erstaufführung noch einen drauf: Alt-Trainer Hans Meyer, der in Nürnberg den letzten Pokalsieg des inzwischen nicht mehr so „ruhmreichen Club“ einfädelte, neulich schon Pate für Albert Ostermaiers anderes Fußballdrama „Linke Läufer“, bot dem Darsteller-Trio zur sachdienlichen Orientierung ein paar Generalisten-Einblicke jenseits der „Sommermärchen“-Stilisierung. Ob der Sarkasmus, den der Bühnentrainer nun als gepanzerte Haltung ausstrahlt, eine persönliche Empfehlung des Beraters war, gehört zu den interessanteren offenen Fragen am Ende der Aufführung.
Es ist in erster Linie Schauspielerfutter, was der Autor anbietet und der Regisseur weiterreicht. Die drei Akteure greifen gerne zu. Marco Steeger unterfüttert den Karriere-Coach und seine kleinkriminelle Energie mit einem Touch Mephisto-Dämonie (Teufelspakt mit Handschlag inbegriffen) ohne das übermäßig zu strapazieren. Frank Damerius kuschelt als Zeugwart am Idealismus mit der unterschwelligen Sehnsucht nach Bedeutung. Frederik Botts Nachwuchskicker ist festgeklopft auf brodelnde Naivität, er will Ballspiel und wird Spielball in dieser Konstellation. Die kampflustigen Dialoge, immer durchs Wechselbad von Entlarvung und Verehrung belebt, umkreisen den Mikrokosmos des Fußball-Universums – ohne dass man letztlich weiß, wie platterdings authentisch das gemeint ist. Soll es Material für eine Hochrechnung kritischer Fans sein oder Anstoß für ein gesellschaftliches Gleichnis? Regisseur Kusenberg, mit handwerklich einwandfreiem Geschick ganz auf die Wirkungssicherheit der Pointen und die schillernde Präsenz der Charaktere bedacht, verweigert die denkbare Ausdehnung von der Kabinen-Affäre zur Existenzparabel. Wahrscheinlich rettet er damit sogar den Marber-Text vor dem eigenen Schwadronierungsinfarkt. „Immer locker bleiben“, lautet eine der mehrfach bemühten Floskel-Faustregeln aus der Kabine. Daran hat sich die Nürnberger Inszenierung gehalten.
Schauspielkritik von Dieter Stoll
Für das Magazin „Die deutsche Bühne“ (Köln)
www.die-deutsche-buehne.de
“Der rote Löwe” von Patrick Marber
Regie: Klaus Kusenberg
Weitere Vorstellungen in den Kammerspielen:
01.03.2017 – 19.30 Uhr
02.03.2017 – 19.30 Uhr
04.03.2017 – 19.30 Uhr
09.03.2017 – 19.30 Uhr
18.03.2017 – 19.30 Uhr
21.03.2017 – 19.30 Uhr
30.03.2017 – 19.30 Uhr
01.04.2017 – 19.30 Uhr
02.04.2017 – 19.00 Uhr
08.04.2017 – 19.30 Uhr
26.04.2017 – 19.30 Uhr
07.05.2017 – 19.00 Uhr
STAATSTHEATER
Richard-Wagner-Platz 2
90443 Nürnberg
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