Andreas Radlmaier im Gespräch mit: Rebecca Trescher
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Woody Allen spielt sie mit halbprofessioneller Hingabe, die Namen Benny Goodman und Hugo Strasser weisen ebenfalls auf eine Blütezeit der Klarinette in goldenen Swing-Zeiten. Im Jazz von heute spielt das Holzblasinstrument, das in Klassik und Klezmer unabdingbar ist, eher eine untergeordnete Rolle. Nicht bei Rebecca Trescher.
Die Wahl-Nürnbergerin, für die an der Musikhochschule der Studiengang „Jazz-Klarinette“ eingerichtet worden war, gilt als tondichterisches Großtalent mit klaren Soundvisionen, das die überragende Qualität der Nürnberger Musikszene unterstreicht. Seit Januar ist sie in der Tafelhalle in der neuen interdisziplinären Konzertreihe „Every Eight Weeks“ zu erleben, die nach dem Wunsch ihrer Erfinderin durchaus eine jahrelange Laufzeit haben könnte.
A.R.: Frau Trescher, wollen wir über Fußball reden?
REBECCA TRESCHER: Nein.
A.R.: Aber ihr aktuelles Ensemble heißt doch „Ensemble 11“?!
REBECCA TRESCHER: Stimmt, der Klassiker: Elf Freunde müsst ihr sein.
A.R.: Der Name lässt also keine Rückschlüsse auf eine Leidenschaft von Ihnen zu?
REBECCA TRESCHER: Nein, gar nicht. Fußball ist überhaupt nicht mein Ding. Wenn WM ist, schau‘ ich mir schon ein paar Spiele an. Genauso gerne gehe ich aber auch dann nach Hause und komponiere oder übe, weil ich dann meine Ruhe habe, weil der Rest der Welt Fußball guckt.
A.R.: Die Zahl „Elf“ ist also Zufall?
REBECCA TRESCHER: Eigentlich schon. Ich komme ursprünglich ja aus der Klassik, aus einem kammermusikalischen Background, habe zwischenzeitlich mit einem Holzbläser-Trio gearbeitet, dann erstmals auf Quintett mit Rhythmus-Gruppe erweitert. Und weiter überlegt, welche Klangfarben passen gut zu meiner Klarinette. Dadurch kam ich auf die Harmonie-Section – Harfe, Vibraphon, Klavier als klassische Harmonie-Abteilung. Dann war es mir wichtig, dass es keine Blechbläser im Big-Band-Sinne gibt, aber dafür zum Beispiel ein Cello als weiche, hölzerne Klangfarbe. So wurden das dann elf Leute.
A.R.: Ging es Ihnen bei der Zusammenstellung um Exotik?
REBECCA TRESCHER: Gar nicht, eher ums Abfedern, um Transparenz für meinen Klarinetten-Klang. Ich hatte in Jazz-Combos oft ein Problem gespürt: Der Saxophonist zählt ein, Schlagzeug und alle anderen legen los – und ich habe wenig Chancen. Das hat mich oft frustriert, ja mir den Stecker gezogen, was Energie und Inspiration angeht. Daraus erwuchs der Wunsch, ein akustisch geführtes Instrumentarium zu versammeln, in dem ich „mithalten“ kann. Das passt auch, finde ich, zu meiner Musik.
A.R.: Passt das auch zu Ihrer Persönlichkeit?
REBECCA TRESCHER: Ein Stück weit schon. Das ist eine fragile Besetzung. Und ich bin auch ein fragiler, sensibler Typ in vielen Bereichen, nehme meine Umwelt sehr reflektiert und differenziert wahr.
A.R.: Das neue Album heißt „Floating Food“, also „schwebendes Essen“. Es gab mal Aktionen von Eat-Art-Künstlern mit diesem Begriff. Haben diese sie zu diesem Titel verleitet?
REBECCA TRESCHER: Eigentlich ist „Floating Food“ inspiriert durch die österreichische Film-Doku „We feed the world“, mit diesen ganzen schrecklichen Bildern über die verheerenden Zusammenhänge zwischen Lebensmitteln und Überfluss, zwischen andalusischen Tomaten-Gewächshäusern, Wasserknappheit und Transport-Irrsinn. Das hat sehr nachgewirkt. Und wurde zur Inspiration des dritten Teils dieser Suite.
A.R.: Das heißt, „Floating Food“ ist eine 45-minütige Suite?
REBECCA TRESCHER: Ja, in vier Teilen, mit jeweils einem kleinem Interlude, ein- bis zweiminütige Miniaturen, die die großen Teile verbinden. Das ist eine großformale Dramaturgie.
A.R.: Was fasziniert Sie am Großformat?
REBECCA TRESCHER: Ein Spannungsbogen – ein roter Faden – eine Geschichte! Ich mache mir gerne Gedanken, wie ich das Spiel eröffne und womit ich dieses enden lasse. Dazu kommt: Es ist natürlich auch ein stimmiges Format für eine CD. Und andererseits eine große Herausforderung, zusammenhängend zu komponieren.
A.R.: Sie kommen gerade aus dem Tonstudio, vom Mischen. Hat sich dadurch der Klang von Ensemble 11 auch sehr verändert?
REBECCA TRESCHER: Ja. Die Musik ist viel anspruchsvoller geworden …
A.R.: … also weg von der Melodie …?
REBECCA TRESCHER: Nee, Melodik bleibt für mich ein wichtiger Parameter. Der Sound ist jetzt einfach sehr komplex. Der erste Teil tendiert Richtung Minimalmusic, ist auch sehr detailliert ausnotiert, klar, statisch, mit einer krassen Perfektion und ganz kleinen Teilen von Improvisation. Der zweite Teil fängt das auf, was dann wieder jazztypisch ist. Der dritte Teil ist zeitgenössischer Jazz mit einem scharfen Kontrapunkt. Im letzten Teil geht’s zur Sache. Das ist dann noch am ehesten Big Band.
A.R.: Sie notieren gerne aus, oder?
REBECCA TRESCHER: Ja, ich schreibe vieles auf.
A.R.: Sind Sie damit weit weg vom Jazz, diesem Gral der improvisierten Musik?
REBECCA TRESCHER: Würde ich nicht sagen. Es gab hier schon immer auskomponierte Musik, Gil Evans zum Beispiel. Das Element Improvisation ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil. Aber bei Ensemble 11 tritt auf jeden Fall die Komposition an sich in den Vordergrund. Ich habe eine genaue Vorstellung von der Musik. Und je mehr Musiker mit unterschiedlichen Backgrounds diese umsetzen sollen, umso genauer muss ich das vorgeben, dass es dann auch so klingt.
A.R.: Ist „Floating Food“ für Sie in erster Linie ein schön schillerndes Sprachbild oder geht’s um mehr?
REBECCA TRESCHER: Es ist auf jeden Fall kritische Reflexion. Ich hatte auch überlegt, den Trailer besagter Film-Doku beim Konzert in der Tafelhalle als gesellschaftspolitisches Statement zu zeigen. Habe mich aber dann dagegen entscheiden, weil die Musik schon für sich selbst sprechen soll.
A.R.: Sind Umwelt und Natur oft Auslöser beim Komponieren?
REBECCA TRESCHER: Ja.
A.R.: Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?
REBECCA TRESCHER: Beobachtungen inspirieren, in der Natur, im Café, in meinem Alltag.
A.R.: Machen Sie Assoziationsmusik?
REBECCA TRESCHER: Sie ist sicher sehr bildlich. Ich erzähle dem Publikum auch oft die Geschichte dazu, wie sich das Stück entwickelt hat.
A.R.: Birgt andererseits die Gefahr, dass Musik illustrativ erlebt wird.
REBECCA TRESCHER: Total. Deshalb fühle ich in Konzerten vor, welchen Umgang mit komplexer Musik hat das Publikum. Letztendlich dient dieser Background auch nur der individuellen Inspiration.
A.R.: Trifft auf Sie die Berufsbezeichnung „Tondichterin“ zu?
REBECCA TRESCHER: Ja.
A.R.: Sie kommen aus der Klassik und sind im Jazz gelandet. Geht’s Ihnen um Verschmelzung, Brückenschlag, Neudefinition?
REBECCA TRESCHER: Das war keine bewusste Entscheidung, das hat sich so ergeben. Ich bin mit Klassik groß geworden, in der Schule und zuhause. Hatte ein strengen klassischen Klarinettenlehrer, in der Jungen Symphonie Reutlingen gespielt und erst mit 17, 18 durch die Begegnung mit einer Jazzcombo an meinem Gymnasium begonnen, mich der Improvisation anzunähern. Auch ziemlich naiv.
A.R.: Ein Spontanimpuls also?
REBECCA TRESCHER: Ja, auch Begeisterung für diese Musik. Das hat mich total berührt. Auch wenn ich überhaupt nicht verstanden habe, was da passiert. Weil ich eben nur in der Klassik unterwegs gewesen war. Meinen ersten richtigen Jazzlehrer hatte ich an der Hochschule. Das spielt sicher in meiner Entwicklung, in meinem Schreibstil, in meinem Ensemblebegriff eine wichtige Rolle.
A.R.: In Ihrer Musik steckt auch viel Spät- oder Neoromantik, oder?
REBECCA TRESCHER: Auf jeden Fall.
A.R.: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb über sie: „Darf man einfach mal behaupten, dass noch niemand so für den Jazz komponiert hat wie Rebecca Trescher.“ Was sagen sie dazu?
REBECCA TRESCHER: Das hat mich natürlich sehr gefreut. Großartig. Ich glaube, schon dass meine Musik sehr eigen ist. Und sicherlich gibt’s in Deutschland kein vergleichbares Ensemble. Möglicherweise auch in ganz Europa. Dieses Feedback bekamen wir im vergangenen Jahr bei unserem Auftritt auf der Messe „Jazzahead“ in Bremen.
A.R.: Das renommierte Musiklabel Enja veröffentlicht „Floating Food“. Sind Sie also angekommen in der Szene?
REBECCA TRESCHER: Angekommen auf keinen Fall. Das will ich auch nicht, für mich ist der Weg das Ziel. Es ist der nächste Schritt einer Entwicklung. Und das fühlt sich gut an.
A.R.: Stipendien begleiten diesen Weg. Treiben Sie das voran?
REBECCA TRESCHER: Das hat sich eher so ergeben. Und mein Ziel ist ja, von der Kunst zu leben, ohne dass ich noch drei Tage in der Woche unterrichten muss. So ein Stipendium setze ich dann auch eins zu eins wieder in das Ensemble um. Die Maschine muss ja laufen. Auch wenn das Ensemble bislang eher ein wirtschaftlicher Totalschaden ist (lacht).
A.R.: Sie sind also Idealistin?
REBECCA TRESCHER: Und Realistin. Wir schreiben rote Zahlen, aber es geht stetig bergauf. Fünf Jahre habe ich mir gegeben. Jetzt sind wir im vierten. Aber wenn man eine Firma gründet, braucht man auch Anlauf.
A.R.: Aber Sie haben dann einen Preis bei den Leverkusener Jazztagen abgelehnt.
REBECCA TRESCHER: Weil die uns mit ihrem Wettbewerb ausbeuten wollten.
A.R.: Dann reden wir über wahre Liebe. War die Klarinette die erste große Liebe?
REBECCA TRESCHER: Sie war immer sehr präsent. Mein Vater spielt auch Klarinette und baut Blasinstrumente, mein Großvater hat auch Klarinette gespielt. Aber wahre Liebe? Es ist schon eine starke Beziehung zu dem Instrument. Aber auch ein Kampf. Entweder funktioniert das Blatt nicht. Oder ich bin mit dem Klang unzufrieden. Dann muss ich ganz viel üben, um wieder zufriedener zu werden. Auch das ist ein steter Prozess.
A.R.: Warum haben Sie eigentlich in Nürnberg studiert?
REBECCA TRESCHER: Letztendlich war Steffen Schorn als Professor der Grund.
A.R.: Es ging also nicht zunächst um die Stadt, in der die Klarinette erfunden wurde?
REBECCA TRESCHER: Nee. Es ging wirklich um die Möglichkeit, Jazz-Klarinette studieren zu können. Das ging in Köln und Berlin. Und in Nürnberg wurde dann der Studiengang von Steffen Schorn für mich eingerichtet. Normalerweise studieren alle Saxophon und Klarinette nebenher. Umgekehrt ist das sehr selten. Was sehr schade ist. Es ist eine Nische.
A.R.: Was nervt Sie am Jazz?
REBECCA TRESCHER: Dass viele Menschen damit nichts anfangen können, dass es Berührungsängste gibt. Dass es im Prinzip ein Begriff ist, der open minded ist, aber nicht so behandelt wird. Das nervt. Dabei kann Musik nicht aktueller, nicht vielfältiger, nicht offener sein.
A.R.: Sie leben seit neun Jahren in Nürnberg und sind immer noch da. Hat die Szene Potenzial?
REBECCA TRESCHER: Unbedingt. Es gibt so viele spannende Menschen in der Stadt, gute Musiker, viele Machertypen. Das ist ein guter Nährboden hier. Man konnte einfach sein Ding machen. Das entwickelt sich dann und trägt irgendwann Früchte.
A.R.: Wie wichtig ist für Sie eine working band, das blindes Grundverständnis unter den Musikern mit sich bringt?
REBECCA TRESCHER: Das ist ja der Kern der Kunst. Gleichzeitig ist das ist für mich als Bandleaderin und Komponistin die größte Herausforderung. Es geht ja auch darum, mit der Musik zu überleben.
A.R.: Kann man das?
REBECCA TRESCHER: Ich aktuell schon. Aber ich habe auch noch keine Kinder, kann mich noch so durchschlängeln. Ich lebe auch relativ spartanisch. Aber eine working band am Laufen zu halten, wenn die Musiker verstreut leben und in verschiedenen Bereichen aktiv sind, ist schwierig.
A.R.: Was ist Ihr größter Traum?
REBECCA TRESCHER: Von meiner Musik leben zu können.
A.R.: In Nürnberg?
REBECCA TRESCHER: Ich bin der Überzeugung, dass, wenn man über den Tellerrand schaut, sein Ding macht und stark genug ist, egal ist, wo man wohnt. Wichtig ist, dass man sich wohlfühlt, wo man wohnt, weil das die Keimzelle ist. Ein Künstler kann sowieso nicht nur in und von seiner Stadt leben.
FOTOS: CRISTOPHER CIVITILLO. www.cris-c.de
FÜR NÜRNBERG: REBECCA TRESCHER
1986 in Tübingen geboren, gehört zu den auffälligsten und experimentierfreudigsten Figuren der jungen deutschen Jazzszene. Die aktuelle Konzertreihe „Every Eight Weeks“ in der Tafelhalle (wieder am 14. März mit der Choreographin Barbara Bess und am 16. Mai mit einem Album-Release-Abend) belegt dies. In jungen Jahren geprägt von der Klassik, wurde ihr fürs Studium an der Musikhochschule Nürnberg, das sie 2008 begann, eigens der Studiengang Jazz-Klarinette eingerichtet, mit ihr als einziger Studentin. Gerade studiert sie in München am Gasteig bei Gregor Hübner, Hector Martignon und Christian Elsässer im 1. Semester Masterclass Komposition für große Ensembles. Die Tondichterin und Musikerin, die Miles Davis, Wayne Shorter und Gil Evans zu ihren Idolen zählt, gewann verschiedene Stipendien und Preise (Nürnberger Kulturpreis, Stipendium Kunststiftung Baden-Württemberg, Arbeitsstipendium Lukas, Sparda-Stipendium), verknüpfte sich mit dem Verein Metropolmusik und ist momentan mit ihrer Formation „Ensemble 11“ unterwegs. Gerade hat sie das Album „Floating Food“ eingespielt, das beim renommierten Münchner Musiklabel Enja erscheint.
FÜR CURT: ANDREAS RADLMAIER
Andreas verantwortet u.a. das Bardentreffen, Klassik Open Air, Stars im Luitpoldhain ...
Andreas Radlmaier und curt stehen seit Jahren beruflich im Kontakt, denn als Leiter des Projektbüros im Nürnberger Kulturreferat ist er verantwortlich für oben genannte Festivals, sowie für die Entwicklung neuer Formate wie Silvestival, Nürnberg spielt Wagner und Criminale. Einen Großteil dieser Formate begleitet curt journalistisch. Andreas ist seit über 30 Jahren in und für die Kulturszene tätig. Studium der Altphilologie, Englisch und Geschichte. Bis 2010 in verantwortlicher Position in der Kulturredaktion der Abendzeitung Nürnberg. 2003: Kulturpreis der Stadt Nürnberg für seine kulturjournalistische Arbeit und Mitarbeit an zahlreichen Publikationen.
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