Theobald O.J. Fuchs: Die kleine Bombe
#Comedy, #Kolumne, #Literatur, #Theobald O.J. Fuchs
Wieder einmal spazierte ich durch den Wald, da sah ich einen dicken Pilz. Es hatte geregnet, braune Blätter besprenkelten den Waldboden, es roch nach Erde und Moos. Wie herrlich und wunderbar!, dachte ich, der Wald ist genau mein Ding, noch nie hat er mich enttäuscht. Scheiß auf Sandstrand, Salzwasser und Sojapalmen! In meiner DNA schwimmen Blaubeeren unter Buchenbäumen, Hasen im Halbschatten und nasser Fichtennadelteppichboden.
Ich besah mir den dicken Pilz genauer, der die Form eines Sechsecks hatte, sich weiß-metallisch schuppte und genauso lang wie eine Stabbrandbombe war, nämlich vom Typ Inc4lb, den britische Flieger Mitte der 1940er Jahre in großen Mengen über der Gegend verteilt hatten.
Ich nahm sie mit nach Hause, die kleine Bombe, bürstete sie im Waschbecken mit lauwarmem Wasser sauber, wickelte sie in ein flauschiges Handtuch und gab ihr zu Trinken. Erst spätnachts, als ich nochmal einen Blick hinauswarf auf den Balkon, wo es friedlich in einer grünen Wanne lag und schlief, fiel mir plötzlich ein, dass dieses Ding womöglich explosiv war. „Womöglich“, sage ich, weil: sicher weiß man so etwas ja nie, solange das Ding nicht wirklich explodiert ist. Wie zum Beispiel manch ein Bürger, der plötzlich zum Wutbürger wird, explodiert, obwohl er zuvor ganz friedlich ausgesehen hat.
Jetzt war guter Rat teuer! Wohin mit einer Bombe? Mein erster Gedanke: einfach bei der Polizei anrufen. Vielleicht am Sonntag morgen, gemütlich mit einer Tasse Kaffee im Bett liegend: „Hallo, ich habe eine Bombe hier auf dem Balkon, zweiter Stock, ganz unkritisch. Unten im Hof sind eh selten Leute und auf der anderen Seite ist nur der Schulhof, da sind nachmittags keine Kinder ... meine Anschrift? Klar, okay, dann bis gleich. Tschüssi!“
Ich verwarf diese Idee ganz schnell, da ich mich daran erinnerte, wie tief in vielen Menschen noch immer Vorurteile gegen Bomben verwurzelt sind. Wahrscheinlich würden sie das ganze Viertel abriegeln, alle Nachbarn verhaften, unsere Wohnungstür aufsprengen, mit Straßenschuhen ins Schlafzimmer stürmen. Nein, das wollte ich nicht.
Die nächste Idee: Bombe ins Auto und ab zur nächsten Polizeiwache. Dort parken, aussteigen, zum Empfang gehen und sagen: „Ich habe eine Bombe, würden Sie sich die bitte mal ansehen? Draußen im Auto, aber ich könnte sie auch hereinbringen ...“
Nein, lieber nicht, das Auto hat noch TÜV bis März, solange will ich es noch fahren. Besser mit der U-Bahn anreisen. Die Bombe ordentlich eingepackt, zum Beispiel in einem Jute-Beutel. Den würde ich der Polizei sogar überlassen, der Umwelt zuliebe. Vor der Wache ablegen, gut sichtbar neben der Tür, beim Schirmständer vielleicht, mit einem Zettel dran: „Findel-Bombe sucht liebevolles Zuhause“. Doch würden die Finder mein Geschenk zu schätzen wissen? Hier bestand ein gewisses Restrisiko.
Und so grübelte ich weiter, bis ich schließlich die ideale Lösung fand: die Bombe musste zurück in den Wald. So würde sie ein zweites Mal gefunden werden können – und zwar „rein zufällig“ durch mich. Die Polizei würde anrücken und wenig später der Entschärfer, der sagen würde: „Seltsam: Als steckte das Ding erst seit gestern hier im Boden.“
Die Polizisten würden antworten: „Da müssen Sie sich irren. Dieser Herr hier fand die Bombe genauso vor, wie sie aus dem Flugzeug gefallen war.“
Der Entschärfer würde sagen: „Na gut, dann wird es schon seine Richtigkeit haben.“ Und er wird das Trumm mit der bloßen Hand aus dem Boden ziehen, in einen Eimer werfen und wieder davon brausen, wohin auch immer Entschäfer mit einer Bombe im Kofferraum brausen. Zum Entschärfer-Stammtisch vielleicht. Oder zum Gebraucht-bombenhändler. Oder direkt zu seiner Entschärfer-Frau, die ihn schimpft, dass er schon wieder eine dieser schmutzenden Bomben mit nachhause bringt.
Habe ich also nur noch die Aufgabe, eine Bombe auf artgerechte Weise im Wald zu deponieren. Das heißt, sie einfach nochmal aus dem Flugzeug abzuwerfen. Dass ich dazu die Bombe in ein Flugzeug schmuggeln muss, ist mir klar, aber es ist ja für einen guten Zweck. Damit auch gar nix schief geht, werde ich noch ein oder zwei weitere Bomben mit ins Gepäck stecken, damit die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass eine durchkommt.
Und während des Fluges muss ich noch eine der Flugbegleiterinnen überzeugen, kurz die Tür zu öffnen, zum Rauswerfen. Könnte sowieso nicht schaden, auch mal zu lüften. Es ist ja sowieso sehr seltsam, dass man im Flugzeug von riesigen Mengen frischer Luft umgeben ist, aber das Fenster nicht aufmachen kann. Stattdessen stinkt es nach Essen und Insektenspray oder Furz und Schimmelkäse.
Schließlich hätte ich einen wunderbaren geschlossenen Kreislauf erschaffen: Flugzeug, Bombe, Wald und wieder von vorne. Eine schöne, eine nachhaltige Vorstellung. Hurrah!
[Immer im Bilde: Theo Fuchs; Fotografin: Katharina Winter]
UND WAS MACHT THEO WIRKLICH UND SONST SO?
Der Reineke der Literaten hält Hof in Hof, und zwar am 16. März im KunstKaufHaus (Königsstraße 25, 95028 Hof) um 20 Uhr. Gemeinsam liest er mit Kollege Roland Spranger aus ihrem umfassenden Œuvre, stimmig musikalisch begleitet von Michael Ströll.
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