Sparschweinschlachtfest für Opernfreunde

FREITAG, 24. FEBRUAR 2017

#Dieter Stoll, #Kolumne, #Oper, #Staatstheater Nürnberg, #Theater

Nürnbergs Staatstheater bietet den gigantischen „Ring des Nibelungen“ in Zyklen: das ist nicht nur Wagnerianern lieb und teuer - Kulturkommentar von Dieter Stoll.

 

Zu den vielen Vorteilen des Kulturlebens gehört es, dass sich dort jederzeit fiktive Begegnungen der eigentlich unmöglichsten Art absolut schrankenlos ergeben können. Wie sonst wäre es denkbar, jetzt im März des Jahres 2017 in Nürnberg eine Paarung vor dem geistigen Auge erscheinen zu lassen, die – jeder für sich ein Ausnahmefall und miteinander bislang niemals mit diesem Anspruch aufgetreten – einfach traumhaft, wenn nicht gar wunderbar passt. Das Tandem Heinz Erhardt (Noch ‘n-Gedicht-Poet) plus Chris Howland (naja, Gesang) und der Solitär Richard Wagner (Gesamtkunstwerk), die Kleinkunstkomiker mit schrägen Vokaleinlagen und der Kolossal-Musikdramatiker mit allenfalls unfreiwilliger Stabreimheiterkeit, sind Paten einer weitreichenden Entscheidung, die unter anspruchsvollen Theaterfreunden (und solchen, die es endlich auch mal sein wollen) nun fällig ist. „Der Nürnberger Ring ist vollendet“ wirbt das Staatstheater für zwei rare Opernhaus-Zyklen, in denen Wagners kultisch verehrter und immer auch ein wenig gefürchteter „Nibelungen“-Vierteiler in der weithin aufsehenerregenden Produktion von Georg Schmiedleitner (Regie) und Marcus Bosch (Dirigent) als zusammenhängende Serie an vier dicht terminierten Abenden erlebt werden kann. Nicht nur finanziell, auch physisch eine echte Herausforderung: Grob geschätzte 18 Stunden Lebenszeit (inkl. Sekt- & Pinkelpausen) im Kreis von überwiegend Gleichgesinnten für die Serie Rheingold/Walküre/Siegfried/Götterdämmerung.

GÖTTER OHNE BAUSPARVERTRAG

Ein absolut unmäßiges Werk, das ist schon mal sicher. Zudem eines, das sich dem ortsgebundenen Durchschnittsbürger so kompakt in der Regel nur einmal pro Generation anbietet. Nicht vergleichbar mit der gewöhnlichen Abo-Vorstellung, die um 19:30 Uhr mit dem ersten Ouvertüren-Ton ansetzt und spätestens nach drei Stunden alle Schicksalsschläge abgehakt hat. Mit „Rheingold“ (wo die nordischen Götter ohne Bausparvertrag eine Burg errichten lassen und die malochenden Riesen ihren Lohn gewaltsam einfordern) beginnt es nahezu sanft in 2 Stunden 20 Minuten. In der „Walküre“ (wo das Wälsungenblut kocht und Schwerenöter Wotan mit Frau und Töchtern Ärger bekommt) braucht es schon fünf Stunden. Der junge „Siegfried“ (der Schwerte schmieden, Drachen killen und Göttertöchter im Feuerkreis verführen kann) wächst in 5 Stunden 15 zur Heldengröße. Nur die „Götterdämmerung“ (wo neben dem Recken die ganze Welt den Geist aufgibt, bzw. in dieser Inszenierung fortschrittsgläubig beim Twittern landet) braucht noch 5 Minuten länger. Mindestens vierfach hoch ist logischerweise auch, was man als Zuschauer für Eintrittskarten kalkulieren muss.

MIT NACKENSCHMERZEN WIRD ES BILLIGER

Und da kommt das benannte Duo Erhardt/Howland trotz seiner erwiesenen Mythos-Abstinenz ins Spiel. Denn wer die Gelegenheit nicht verpassen will, in freiem Gedenken an den quäkenden Kino-Gollum hier unterm Nibelungen-Drachen nach dem anderen glänzenden „Ring“ greifen und als Reaktion auf lange Abende an der Sesselkante ganz legal „Mein Schatz!“ flüstern möchte, wer also vor dem Hintergrund der eigenen Dispokreditlinie vom winterstürmenden Wonnemond über das Hojotoho zu den „schweren Scheiten“ des Weltenbrandes vorzudringen beabsichtigt, wird den Umweg über „Und dann hau ich mit dem Hämmerchen das Sparschwein, das Sparschwein, kaputt“ nehmen müssen. Auf zwei Dritteln der angebotenen tausend Opernhaus-Plätze, die mit uneingeschränkter Sicht sowie überschaubarer Luftlinie locken, kostet das breit angelegte Vergnügen nämlich zwischen 270 und 400 Euro; wer Nackenschmerzen auf  Seitenblickposition nicht scheut, kann es etwas günstiger haben – aber da sind die Physiotherapiekosten nicht inklusive. Nun ja, es handelt sich halt um einen Ausnahmezustand.

„KULTUR FÜR ALLE“ IST ES WOHL DOCH NICHT

Im Vergleich zu Münchner Staatsopern-Preisen oder Festspiel-Tarifen zwischen Salzburg, Bayreuth und Baden-Baden ist das (relativ) ein Schnäppchen. Mit Blick auf die kulturpolitisch gut begründbare, millionenschwere Steuersubventionierung, die ja eigentlich erschwingliche Preise und somit die Kulturteilhabe für jedermann garantieren sollte, wird mancher unvorbereitete Interessent jedoch zunächst ein verschrecktes Räuspern nicht vermeiden können. Stimmt schon, wenn die Eintrittspreise so steil in die Höhe schießen, dass Frau Normalverbraucher und Herr Mustermann zurückzucken, fließen die Zuschüsse der öffentlichen Hand eben an ihnen vorbei vorwiegend an „Besserverdiener“, die sich gehobenen Kulturluxus leisten können. Ohne die Basisfinanzierung der öffentlichen Hand, die den etwa 600 Personen umfassenden Großbetrieb der mehrspartigen Kunstfabrik mit knapp hundert fest angestellten Orchestermusikern erst ermöglicht (statistisch bundesweit pro Kopf und Jahr 43 Euro, ob man es nutzt oder nicht), würde aber kaum jemand den kostendeckenden Eintrittspreis zahlen können. Es ist eine gesellschaftliche Grundsatzentscheidung, dass es in Deutschland in allen Großstädten Theater gibt – und zwar die richtige. Nur sollten die Politiker endlich mal kreativ drüber nachdenken, wie diese „Kultur für alle“ wirklich für alle erreichbar gemacht werden kann. Aber das ist ein Thema für sich.

NÜRNBERGS LETZTER „RING“ REISTE BIS NACH CHINA

2005 war der letzte Nürnberger „Ring des Nibelungen“, gleichzeitig die erste Aufführung einer kompletten Produktion seit einem halben Jahrhundert hier am Opernhaus, nach mehreren Entstehungsjahren auf seinem Gipfelpunkt angelangt – per Gastspiel als chinesische Erstaufführung des Werks in Peking. Dazwischen hatte es fragmentarisch bleibende Versuche gegeben, doppelt mit dem allein bleibenden „Rheingold“, einmalig mit der „Walküre“ – Hans Gierster und Eberhard Kloke, die jeweils grade amtierenden Taktstock-Generäle, versuchten es mit Fragmenten. Erst der französische Generalmusikdirektor Philippe Auguin, in Partnerschaft mit dem brav an einer roten Kordelschnur entlang bebildernden britischen Regisseur Stephen Lawless, bewältigte das ganze Monsterdrama seit den frühen 1960er-Jahren wieder komplett. Und entwickelte dabei eine Wagner‘sche Klangpoesie, die man so vorher hier allenfalls bei Christian Thielemanns kurzer Nürnberg-Zeit erahnte.

SIEGFRIED ZWISCHEN LAPTOP UND LEDERHOSE

Beim aktuellen „Ring“, der bisher nur in den Einzelteilen auf dem Spielplan stand, ist die streitbare Inszenierung von Georg Schmiedleitner mit ihren Überraschungshöhepunkten beim heldisch singenden, hochkomödiantisch verspießerten Laptop- & Lederhosen-Siegfried (Tenor Vincent Wolfsteiner, ein Fels in der Brandung) und Antonio Yang als Alberich und Wotan (die zweite Großentdeckung der Produktion) vergleichsweise eine deutlich bessere Wahl. Regie, die auch Widerspruch wagt und dadurch aufregend wird. Dirigent Marcus Bosch, flink und transparent im Motivgeflecht unterwegs, bietet diskutable Alternativen zur verklärten Erinnerung ans verführerisch schmeichelnde Auguin-Pathos. Dass dabei die Umwelt in Plastikmüll versinkt, Migranten wie Gespenster an der Glasfassade der Gibichungen-Burg auftauchen, außerirdisch tremolierende Sängerinnen körpernah über die Köpfe der Zuschauer klettern und Brünnhilde zum Finale vergnügt twittert, sollte niemanden abschrecken. Vieles hat seinen Sinn. Und Wagners Klang saugt sich dann sowieso fest an den Gedanken.

Wer die chronisch ausgebuchten Bayreuther Festspiele nicht erwischen und die Münchner Staatsoper nicht bezahlen kann, ist in Nürnberg gut bedient. Ungerührt wird niemand diesen Aufführungs-Zyklus in seiner doppelten Schlagkraft von Spontanschauder und Langzeitwirkung erleben. Das muss man als Sonderfall einstufen, also entsprechend behandeln. Für den Zugang zum freien Blick auf (siehe „Siegfried“) das heiße Eisen namens „Nothung, das Schwert“ empfiehlt sich (siehe hohe Kante) daheim der coole Einsatz von Notfall, das Hämmerchen – um es mit den Worten des stabfreien Dichters zu sagen: „Mit dem Innenleben von dem kleinen Sparschwein geht‘s uns dann wieder gut.“

1. Ring-Zyklus: 23. Mai bis 4. Juni
2. Ring-Zyklus: 7. Juni bis 18. Juni


Zusätzlich gibt es schon zuvor zur individuellen Zyklen-Gestaltung je zwei Einzelvorstellungen von Rheingold (4. und 12. März), Walküre (19. und 26. März), Siegfried (9. und 16. April) und Götterdämmerung (30. April und 14. Mai).

www.staatstheater-nuernberg.de

 




Twitter Facebook Google

#Dieter Stoll, #Kolumne, #Oper, #Staatstheater Nürnberg, #Theater

Vielleicht auch interessant...

20241001_pfuetze
20241001_Staatstheater
20241001_Salz_Pfeffer
20241001_Einblick
20240801_mfk_PotzBlitz
20241001_Staatstheater_Erlangen
20241001_Kaweco
20241001_Retterspitz
20241001_GNM_hallo_nature
20241001_VAG_Nightliner
20241104_curt_XMAS
20230703_lighttone
20240601_ebl