Außer Thesen nichts gewesen?

MITTWOCH, 1. FEBRUAR 2017

#Dieter Stoll, #Kolumne, #Kultur, #Stadttheater Fürth

Wie das Luther-Jahr 2017 (auch in Franken) neben Festakten, Bücherbergen und der Deiertagsordnung sogar Theater erbeben lässt. Ein Kulturkommentar von Dieter Stoll.

Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland und der Rest der Welt werden ihn offiziell erst zum 31. Oktober dieses Jahres am extra dafür eingerichteten Freizeit- und Gedenktag (übrigens direkt nach dem zweifelsohne weniger zinsträchtigen Weltspartag) feiern. Aber die fränkischen Theaterfreunde haben die Vollendung des halben Jahrtausends seit dem legendär gehämmerten 95-Thesen-Termin  am auch metaphorisch morschen Kirchenportal nicht abgewartet und ihren Kranz vorsorglich schon jetzt niedergelegt. Mit einem Auftrags-Musical unter dem entfernt an die hochgekrempelten Abenteuer des Don Camillo erinnernden Titel „Luther – Rebell Gottes“ setzte sich das Fürther Stadttheater bereits am 13. Januar an die Spitze der Gratulations-Bewegung zum 500-Jahres-Jubiläum der Reformation. Bezirkshauptstadt Ansbach folgt sogleich ab 4. März mit dem nach verbürgtem Produzentenversprechen „spannend wie ein Krimi“ ablaufenden Drama „Luther! Das klare Wort“. Unter Partyfreunden nennt man das „Vorglühen“.

EIN SEX-BERATER WIE DR. SOMMER

Wieso Bühnen der Region gar so eifrig im Windschatten der frommen Denkungsart vorpreschen, ist eine allenfalls spekulativ zu beantwortende Frage. Immerhin, beim statistischen Konfessions-Wettkampf haben in der Stadt Fürth laut der letzten offiziellen Zählung die Protestanten gegen die Katholiken mit 34 zu 23,5 (Prozent) gewonnen. Nur die Fraktion der Ungläubigen ist stärker, tut sich mit eigenem Heldenvorrat jedoch schwer, nimmt aber fremde Feiertage gerne mit. Martin Luther, der nicht nur als Aufständischer gegen die Kirchenhierarchie samt ihrem Ablasshandel, sondern auch mit seiner Erschließung der Bibel fürs einfache Volk, als wortgewaltiges Sprachgenie und konkreter Ratgeber für alle Lebenslagen (Anweisung zum Sex, annähernd Dr. Sommer-tauglich: „In der Wochen zwier/Schadet weder dir noch ihr“) tiefe Spuren in der Alltags-Geschichte hinterließ, war schon immer nah bei Kult & Kultur. Im Jubeljahr ist die Erinnerung an seine seelische Architektur namens „Ein‘ feste Burg“ mehr denn je auf Bücherberge gebaut. In den aussichtsturmhohen Stapeln der aktuellsten Drucksachen zum gegebenen Anlass wird der praktizierende Multitasker Luther schon bei den Titeln am Umschlag abwechselnd zu „Lehrer“ oder „Marke“, „Prophet der Deutschen“  oder „Mensch Martin“, ein „Befreiter“ oder eben „Rebell“ – und Letzteres wiederum abwechselnd bloß „…der Deutschen“ oder etwas  höher orientiert doch lieber gleich „…Gottes“. Und wer es schräg mag beim eigenen individuellen Festakt unter der Leselampe, kann in des sonst oft tief in der Pop-History grabenden Autors Willi Winkler spitzfingerig sortierter Luther-Biografie eine 640-seitige Beweisführung  verfolgen, nach der Martin Luther doch tatsächlich urahnungsvoll der allerprominenteste Alt-1968er war. Da ist der von anderen Gebrauchsanalytikern unterschobene Essay-Ehrentitel vom „ersten Wutbürger“  im Predigtmodus noch gar nicht mitgezählt.

Die Bühne von heute wird ja oft wie eine weltliche Kanzel gesehen. Autoren und Regisseure werfen Thesen ins Publikum, pflegen ihr eigenartig selbstbewusstes „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, auch wenn sie „Gott helfe mir“ und „Amen“ dabei inzwischen etwas vernachlässigen. Und kratzen an Autoritäten. Der Autor Dieter Forte schrieb 1970 mit dem Historiendrama „Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung“ ein europaweit besonders heiß diskutiertes Stück, in dem der Wittenberger Theologiedoktor freilich vom Reformgiganten zum eiernden Rädchen im großen Getriebe gestutzt wird und am Ende der Kapitalist/Kaufmann Fugger mit seinen Bilanzabrechnungen nicht nur über Bauernaufstände sondern sogar über alle organisierte Gottesfurcht im irdischen Leben triumphiert. In hitzigen Diskussionen nach international mehr als 50 Inszenierungen sprach man damals abwechselnd respektvoll von Entmystifizierung oder grimmig von Geschichtsfälschung, rief erhitzt „Bravo“ oder „Buh“ und hierzulande wohl manchmal sogar „Allmächd“. Nürnberg war nämlich in der Debatte ganz aktuell dabei, schon 1971 wurde das Stück (mit Filmaltstar Dieter Borsche) am Schauspielhaus inszeniert, was aus Zufall zu einem Jubiläum Luthers passte, auf das inzwischen selbst ältere Kurienkardinäle nicht mehr anstoßen: Exakt 450 Jahre zuvor hatte man ihn per päpstlicher Bannbulle aus dem fernen Rom vom Katholizismus exkommuniziert. Quasi zum Protestantismus geschubst. Die Folgen sind bekannt und werden dieses Jahr weltanschauungsübergreifend in Grund und Boden gefeiert. Für 2017 fand sich leider weder ein skeptischer Regisseur noch ein aufmüpfiges Theater, die den kämpferischen Forte-Text als Gegengift zu Festreden und anderen Verklärungen auf den Prüfstand zurück geholt hätten.

ES GIBT AUCH DUNKLE SEITEN

Was Nürnberg 1983 zum bescheidener gefeierten 500. Geburtstag des Reformators mit „Der Stadtluther“ auf die Bühne brachte (eine von Kabarettist Helmut Ruge geschriebene TV-Show-Parodie für aufgelockerte Buß- und Bettage), deutet schon eher in die Richtung der aktuellen Bemühungen von 2017, die den Begriff „Spektakel“ ja nicht scheuen, die Biografie als Entertainment-Treibstoff verheizen und über die dunklen Seiten der Erinnerung so diskret wie möglich hinwegblenden. Außer Thesen nichts gewesen? Naja, den trompetenden Antijudaismus jener Jahre, den der fromme Bibel-Exeget wie ein persönlich übermitteltes Gottesurteil gegen die Glaubenskonkurrenz verkündete, muss man eben als Zeiterscheinung relativieren. Oder dem auch für Genies gültigen Grundfreibetrag an Dummheit zurechnen, um die unvermeidlichen Hymnen vor schrillen Misstönen zu bewahren. Oder etwa nicht?

GESEGNETER SPIELORT IN ANSBACH

Das Theater spielt weiter mit. TV-Routinier Dieter Wedel („Der große Bellheim“) wird als Freilichtspielmatador nach seinen gestreckten Nibelungenjahren in der großen Stiftsruine von Bad Hersfeld im Sommer „Luther – Der Anschlag“ herausbringen, es gibt bundesweit Premierenankündigungen wie „Sagenhafter Dr. Luther“ (als „vergnügliche Reise ins Innenleben“) und „Play Luther“, Allzweckdramatiker John von Düffel (in Nürnberg derzeit mit „Römische Trilogie“ nach Shakespeare im Spielplan) hat fürs westfälische Münster „Martinus Luther“ schon auf die Bühne gestellt, beim Projekt „#Thesen9.5“ in Lutherstadt Eisleben wird mit Sympathie und Songs nachgeladen, der im Endprobenstadium befindliche Ansbacher Luther-Krimi der Leipziger Autorin Friederike Köpf bekommt die Kapelle der Gumbertuskirche als gesegneten Spielort.

MUSICAL-ÖKUMENE: JESUS, PAPST UND LUTHER

Aber der gottesfürchtige Religionsreformer als hüftwiegender Musical-Held? Muss das sein, darf das sein? Passt schon! Zum jüngsten polnischen Papst-Musical „Karol“ (katholisch) und der ehrwürdigen Broadway-Show „Jesus Christ Superstar“ (ökumenisch) gehört nun dank der Fürther Initiative eben auch ein swingender „Rebell Gottes“ (evangelisch). Schließlich steht im unerschöpflichen Zitatenschatz aus dem allerdings von keinerlei Discoerfahrung bedrängten Luther-Nachlass: „Musik ist ein reines Geschenk und eine Gabe Gottes, sie vertreibt den Teufel“. Unterstellen wir mal, dass das auch im Detail für alle Arten von Klangkunst bis dicht an die Hitparade gilt: „Hier kann nicht sein ein böser Mut / Wo da singen Gesellen gut“.

DAS STRAHLEN DER METHADON-MADONNA

Die Fürther Uraufführung ist eine gesellige Hommage und kann guten Muts das Zeug haben, bei einer etwaigen Wiederaufnahme zum Jubel-Stichtag 31. Oktober 2017 als Entspannungsübung nach gespreizten Würdigungen auflockernd zu wirken. Ein gertenschlank durchtrainierter Mönch Martin, für den als zölibatsbrechende Nonne eigentlich nur Sister Act in Betracht kommt, sorgt in „Luther – Rebell Gottes“ schwungvoll für Aufbruchstimmung. Der Papst tanzt Travestie durch Albträume, aber mehr zu Herzen geht allemal der rockige Rebell mit Kanzel-Rap und flotter Beinarbeit an der Rampe im Dienst von „Wahrheit“ und „Freiheit“. Die heilige Anna im virtuellen Strahlenkranz auf Vanille-Basis hilft ihm als eine Art Methadon-Madonna, und wer bei Frau Luthers innerehelichem Love-Song das innige „Ich gehör zu dir“ im eigenen Kopfkino nicht verständnisvoll mit „ … wie die Thesen an der Tür“ ergänzen mag, muss es halt einfach bleiben lassen.

UND JETZT: MARX-BROTHER MIT ENGELS-CHOR

Folgenlos darf das aktuelle Luther-Jubiläum als Anstoß für beschwingte Datenverarbeitung im Theater natürlich nicht sein. Die cleveren Intendanten in Fürth und sonstwo sollten unbedingt dran bleiben: 2018, beispielsweise, ist 200. Geburtstag von Karl Marx, auch so eine Glaubensfrage. Vielleicht könnte man da ein kapitales Musical mit dem Arbeitstitel „Sein oder Bewusstsein – der deutsche Marx-Brother“ in Auftrag geben. Eventuell in Koproduktion mit dem ehemaligen Karlmarxstadttheater im heute so genannten Chemnitz, und musikalisch unbedingt mit jeder Menge Engels-Chor.

 




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