Blutgrätsche als Kosmetik: "Schönheit" am Staatstheater
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Eigentlich könnte die resolute ungarische Gräfin Erzsébet Báthory, nach dem frühen Tod des Ehemannes reich an Geld und Macht und Selbstverwirklichungstrieb, trotz ihres Geburtsjahres 1560 ein früher Modellfall von Emanzipation sein. Oder der erste Gedanke an die „Lustige Witwe“. Beides war ihr nicht wirklich vergönnt. Historisch verbürgt ist ihre Lebenszeit von immerhin 54 Jahren, von denen die Nah- und Nachwelt allerdings vorrangig Gerüchte um frivole Nachtgedanken plus kosmetische Eigenarten mit Todesfolge bewahrte.
Der lange Weg vom Dorfklatsch zur Gewissheits-Behauptung, der die gereifte Dame auf der Suche nach knitterfreier Zukunft zur angeblichen Wellness-Vampirin machte, mag aktuelle Facebook-Philosophen erstaunen. Jedenfalls landete die am Ende hinter Kerkermauern verhungerte Original-Gräfin dank eines irischen Horrorpoeten knapp vor Bram Stokers „Dracula“ in der Literatur, wo sie nach dreihundertjähriger Schamfrist erstmals auch lesbische Neigungen zeigte. Wenn die fleißige Hamburger Gegenwarts-Autorin Nino Haratischwili, die mit 33 Jahren schon 20 Stücke geschrieben und elf Förderpreise kassiert hat, anno 2016 diese Protagonistin im Kreis williger Zofen und Liebhaber mit weitmaschig gesponnener Dialog-Poesie samt lyrischer Krönchen in eine undefinierbare Zeitlosigkeit lenkt, geht es natürlich nicht um Geschichtsunterricht. Sie gibt ihrem Melodram im Mythos-Rahmen den überrumpelnd schlichten Titel „Schönheit“ und treibt es bunt mit der eingeschwärzten Nachklapp-Romantik.
Regisseurin Petra Luisa Meyer mag, wenn schon alles zur Auswahl bereit liegt, sowieso lieber die auftrumpfende Groteske als die unterschwellige Emanzipations-Elegie. Aber was sein muss, muss sein. Also inszeniert sie knatterkomische Showeinlagen und textilbefreite Aha-Effekte auch, um den unausweichlichen Abstürzen ins Jammertal genug Fallhöhe zu verschaffen. Wie es der Widersacher der Gräfin (Stefan Lorch mit stets samtiger Infamie), der ihr auf stolpernden Freiersfüßen zuvor „mannesgleiche Klugheit“ bescheinigte, sarkastisch sagt: „Im Sturz lernt so mancher das Fliegen“. Für Luftnummern ist der Text jedenfalls geeignet. Stefan Brandtmayrs Szenenbau nutzt die flache Kammerspiele-Bühne optimal zum Spiegelkabinett, das wie ein Treibhaus die Träume wuchern lässt. Ein gewaltiges Sofa mit angeschlossener Hausbar und Deodorant-Station, dahinter die kolossale Glasfassade, an deren Scheiben von außen jede Sehnsucht ihre Nase platt drücken darf.
Am größten Problem von Nino Haratischwilis Nacherzählung kann die Aufführung auch mit den Belebungs-Aktionen aus gehäckselten Blackout-Miniaturen wenig ändern: Weil die Autorin die blutleere Einsamkeit der geschäftstüchtigen Gräfin als Motiv späterer Transfusions-Verfehlungen zum überlangen Vorspann ausbaut, bleibt für die Magie des Schauermärchens nur Restlaufzeit. Man sieht die ausgekostete Wende von der sehr üblen Salon-Laune zur äußerst akrobatischen Liebesraserei (Frederik Bott spielt cool den jugendlichen Lover, der nicht nur Florence Foster-Jenkins´ Koloraturen übertrifft, sondern jede Party auf allen Vieren mit Hundegebell nach Ansage beleben kann), die Eifersucht von zwei Zofen (mit bitterlichen Blicken: Lilly Gropper, Bettina Langehein) und das Schicksal beim unqualifizierten Zuschlagen. Weil der herzensgute Jüngling die an Adel und Alter so deutlich höher einzustufende Erzsébet urplötzlich verlässt (er meint es nicht böse, oh nein, er ist einfach viel zu anständig und wird das am Ende persönlich mitteilen), kommt die von Gram und Liebesentzug gebeugte Dame überhaupt erst auf die kriminelle Idee mit der abzapfbaren Kosmetik-Kur. Wenn diese Blutgrätsche endlich ins unterhaltsam leerlaufende Charaden-Potpourri fährt, sind bereits zwei Drittel der Vorstellung gepflegt verplaudert. Also schnell noch eine kleine Runde Rohstoffsicherung durch Jungfrauen-Jagd, Beschaffungskriminalität hat ja so viele Varianten.
Ein mittleres Wunder in dieser Konfetti-Explosion ist Nicola Lembach in der Hauptrolle. Sie entwickelt ihre Gräfin von der kaum noch salonfähigen Nullbock-Diva über die vitale Spätlese-Geliebte zum wandelnden Wutanfall hinein ins nicht mehr beherrschbare Hysterienspiel des Schönheitswahns. Welten stoßen da aufeinander, und wo die Dialoge nicht genug Energie liefern, bessert die Schauspielerin mit ihrem zeichnerischen Talent am großen Spiegel nach, liefert Momente skizzierter Verinnerlichung. Ob diese Figur mit ihrem ramponierten Selbstbewusstsein im heutigen Blick von Autorin und Regisseurin ein Opfer der ewig widerstandsfähigen Verhältnisse ist oder nur ein Betriebsunfall der Kolportage, kann sie leider auch nicht beantworten. Den langen Beifall hat sich Nicola Lembach allemal verdient.
Schauspielkritik von Dieter Stoll
für das Kritiken-Portal nachtkritik.de (Berlin)
www.nachtkritik.de
Schönheit
von Nino Haratischwili
Regie: Petra Luisa Meyer
Weitere Vorstellungen in den Kammerspielen:
21. Dezember 2016, 19.30 Uhr
30. Dezember 2016, 19.30 Uhr
08. Januar 2017, 19.00 Uhr
18. Januar 2017, 19.30 Uhr
26. Januar 2017, 19.30 Uhr
05. Februar 2017, 19.00 Uhr
07. Februar 2017, 19.30 Uhr
11. Februar 2017, 19.30 Uhr
16. Februar 2017, 19.30 Uhr
18. Februar 2017, 19.30 Uhr
15. März 2017, 19.30 Uhr
06. April 2017, 19.30 Uhr
11. Mai 2017, 19.30 Uhr
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