Claudias Kinoempfehlungen

DONNERSTAG, 1. DEZEMBER 2016

#Casablanca, #Cinecitta, #Claudias Welt, #Kino, #Kolumne

Einblick in das Leben derer, die in der Öffentlichkeit stehen bietet der Kinowinter. Und da genügt ein Blick nicht. So eklig wie erhellend.

MARIE CURIE
AB 01.12. // CINECITTA
Marie Curie wollte heilen und helfen. Als Physikerin plus Chemikerin fuhr sie vor 100 Jahren mit dem von ihr entwickelten Röntgenwagen an die Front, um verwundete Soldaten zu untersuchen. Sie war eine forsche Forscherin, die sich nicht mit Theorie und höflichem Applaus zufrieden gab, Currie setzte um und sich dann noch selbst hinters Steuer. Obendrein hatte diese Frau eine glückliche Ehe, mit dem Mann, der an ihrer Seite arbeitete. Bis er bei einem Unfall starb. Allein unter Männern hatte sie es in Frankreich, wo sie lange lebte, nicht leicht. Allerdings geht es hier nur in zweiter Linie um Nobelpreise, die man ungern ans falsche Geschlecht verlieh. Die bodenständige Polin ist in dieser Biographie Privatfrau. Und da ist es genauso schwierig, die Gesellschaft nicht gegen sich aufzubringen. Auch heute würde nicht jeder für sie Partei ergreifen. Beim immerwährenden nebligem Grau über den Bildern kann man sich Gedanken machen über Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ohne dass sie es sich ausgesucht haben.
Wer's vorzieht, dass es auch optisch knallt, schaut lieber eine Woche später „Elvis & Nixon“, Präsident und Megastar – das rockt.
 


ALLE FARBEN DES LEBENS
AB 08.12. // CINECITTA
Kennt jemand die Handy-Werbung mit dem Jungen, der lieber ein Mädchen wäre? Besagte Firma kann ich nicht leiden, aber bei der Werbung stutze ich jedes Mal, weil es irgendwie gut umgesetzt ist, auch wenn es ums Verschenken von Datenvolumen geht. Alle Farben des Lebens hat einen saublöden deutschen Titel, aber wunderbare Besetzung: Elle Fanning als Jüngste, Susan Sarandon als Oma und dazu Naomi Watts. Sie bilden einen Frauenhaushalt unter einem Dach, drei Generationen. Teenager-Tochter Ramona möchte schon seit ein paar Jahren Ray genannt werden, ihre Mutter zweifelt, doch jetzt wird es ernst – und der Testosteron-Behandlung muss auch der leibliche Vater zustimmen. Hier sieht man zunächst den Nachteil von Frauen: Sie reden alle gleichzeitig und keiner hört zu. Schlimmer jedoch: Elle Fanning ist mit dieser Rolle überfordert. Man spürt nichts von ihrem Leiden und das geliebte Skateboard wirkt an ihr wie ein Fremdkörper. Wechselt die Regie deshalb zu Mutter Maggie und deren Geschichte mit dem Ex? Komisch Thema verfehlt, da ist der Werbespot fast besser.
 


KATER
AB 08.12. // CASABLANCA
Der Fluchtreflex war enorm. Ich wollte weg, keine Minute länger Kater zuschauen, aber es war ja zu spät, ich hatte gesehen, was ich nicht sehen wollte. Meine Neugier zuvor war groß, weil man nicht wusste, was da passieren sollte. Zwei schwule Musiker leben recht entspannt im Grünen, arbeiten und lieben zusammen. Kater an Bord, viele Freunde, alle harmonisch. Dann passiert etwas Gewaltiges. Es dauert  einen Moment, danach ist nichts mehr wie es war. Ich hasse diesen Film, weil er einem das Urvertrauen in die Menschen nimmt. Weil es so schwer ist, das wegzuwischen. Aber wer so viel Emotionen auslöst, wie dieser Dramatiker und Regisseur aus Österreich, kann nicht so schlecht sein. Hab das fiese Ding zu Ende geschaut, rate Euch natürlich ab. Die Neugier müsst Ihr jetzt aushalten.  
 


DER GLÜCKLICHSTE TAG IM LEBEN DES OLLI MÄKI
AB 05.01. // CASABLANCA
Im Dezember ist nicht so viel los, denn die Verleiher von Filmen zucken doch ein wenig zurück vor der galaktischen „Star Wars“-Bedrohung und dem großen Drama um Brad Pitt. Ich meine seinen Spionfilm „Allied“, nicht die Scheidung. Aber wir warten gern bis Januar auf unseren finnischen Weihnachtsfilm. Olli ist ein schmächtiger Boxer aus Finnland, der in einer Gewichtsklasse unter seiner wirklichen gegen einen anderen Profi antreten soll, um den Weltmeistertitel 1962 nach Finnland zu bringen. So reden hier also mal Männer übers Abnehmen, promoten einen Kampf und dann wird es … spannend? Nein. Seltsam abwesend ist dieser Mäki. Finnen sind bescheiden, ja, aber die Zurückhaltung des Boxers macht nicht nur seinen Manager nervös. In diesem schönen Schwarzweiß-Film darf man genau hinschauen, um keine Feinheit zu verpassen über das Leben in der Öffentlichkeit. Der Preis des Ruhms steht im Zentrum und wie verständlich es ist, sich nicht für den ganzen Quatsch zu interessieren. Wer will sich schon instrumentalisieren lassen, wenn er selbst sein Leben ganz gut hinkriegt. Spannender Gedanke, oder?
 


DIE BLUMEN VON GESTERN
AB 12.01. // CINECITTA  
Fischgerichte, Blumen und Bier von gestern sind meist nicht mehr so schön anzusehen. Ja, es stimmt, ich mag keine Holocaust-Filme (mehr), aber wenn Lars Eidinger mitspielt, von schwarzem Humor die Rede ist und ein guter Mann wie Chris Kraus an den Reglern steht, schauen wir mal. Schon beim ersten Monolog bin ich begeistert. Das Ganze wird mehr ein Kampf zweier Seelen als eine geschichtliche Aufarbeitung und das ist gut. Adèle Haenel nimmt es als Praktikantin mit dem wuchtig wilden Theatermann Eidinger auf und zeigt, wie man eine Rolle entwickelt! Sie assistiert dem unbeherrschten Holocaust-Forscher und zieht mehr und mehr die Aufmerksamkeit ab von diesem Typen, der eine einzige Krise ist. Diese Figuren und ihre Dialoge sind so spannend, dass man als Zuschauer ständig neue Positionen einnimmt und doch nur Spielball eines recht genialen Mannes ist, der die Fäden von Auschwitz zur Impotenz zieht. Das ist phasenweise too much und zu simpel. Denkt man und verlässt das Kino reichlich verwirrt nach einer Psychostudie deluxe.
 




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